Neue Erkenntnis:

Immunsystem erwacht mit erstem Atemzug

21.02.2017

Wiener Wissenschafter wiesen an Mäusen Ausschüttung von Immunbotenstoffen unmittelbar nach Geburt nach

Zur Vollversion des Artikels
© Getty Images
Zur Vollversion des Artikels

Der erste Atemzug dürfte bei Säugetieren das Immunsystem des Neugeborenen zum Erwachen bringen. Wiener Wissenschafter konnten jetzt ein komplexes Programm aufklären, das sofort mit der Geburt startet: Die in Cell Reports veröffentlichte Studie zeigt, wie spezielle Signalstoffe, ausgelöst durch die erstmalige Lungenentfaltung, die Immunzellen der Lunge ein Leben lang prägen.

Hohe Abwehrkraft nötig
Die Lunge ist eine wichtige Schnittstelle zwischen dem Körperinnerem und der Außenwelt: Ihre etwa hundert Quadratmeter große Oberfläche filtert mit jedem Atemzug lebenswichtigen Sauerstoff aus der Luft, während sie Kohlendioxid zum Ausatmen freigibt. Bei Kontakt mit rund 10.000 Liter Luft pro Tag in der Lunge des Menschen muss eine hohe Abwehrkraft in dem Organ gegen Krankheitserreger vorhanden sein.

Die Forschungsgruppe von Sylvia Knapp, Direktorin für Medizinische Angelegenheiten am CeMM (Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) und Professorin für Infektionsbiologie an der MedUni Wien (AKH), konnte nun in Mäusen zeigen, dass direkt nach dem ersten Atemzug entscheidende Signale gesetzt werden, die zu tief greifenden Veränderungen in der Lunge führen. Die Wissenschafter fanden heraus, dass die Aufblähung der Lunge beim ersten Atemzug zur Ausschüttung des Zytokins Interleukin (IL-33) führt. Dieser Immunbotenstoff hat einen weitreichenden Effekt: Spezielle weiße Blutkörperchen, sogenannte lymphoide Typ-2 Zellen (ILC2), werden aktiviert und wandern in die Lunge ein. Dort schütten sie Interleukin-13 (IL-13) aus, das schließlich die wichtigsten Immunzellen in den Atemwegen, die Alveolarmakrophagen, für ihre spezielle Aufgabe in der Lunge vorbereitet.

"ILC2-Zellen spielen eine wichtige Rolle in der Abwehr von Parasiten oder Influenza-Viren, ihre Bedeutung für die Homöostase (Funktion; Anm.) der Lunge war bisher aber nicht bekannt", wurde die Erstautorin Simona Saluzzo in einer Aussendung zitiert. "Jetzt erst verstehen wir, dass ILC2 unmittelbar nach der Geburt wichtige Instruktionen an Alveolarmakrophagen weiterleiten, damit diese Entzündungen eindämmen und die Immunantwort drosseln, um sicherzustellen, dass die Lungen für den Gasaustausch intakt und gesund bleiben".

Lungenentzündung häufigste Todesursache durch Infektion
Dieser Mechanismus schützt zwar vor überschießenden Entzündungen - birgt jedoch auch Risiken, betonte Sylvia Knapp. "Wir konnten in dieser Studie zeigen, dass die von uns beschriebenen Mechanismen zwar essenziell sind, um unmittelbar nach der Geburt eine Beruhigung des Immunsystems der Lunge zu erreichen. Gleichzeitig erhöhen sie aber auch die Anfälligkeit für Infektionen mit z.B. Pneumokokken. Was also gut für die Funktion und den Gasaustausch in der Lunge ist, erklärt gleichzeitig, warum durch Bakterien verursachte Lungenentzündung die häufigste Todesursache durch eine Infektion in der westlichen Welt ist".

Gegen Pneumokokkeninfektionen gibt es wirksame Impfstoffe. Diese Immunisierung ist im kostenlosen österreichischen Kinderimpfprogramm enthalten.

Zur Vollversion des Artikels