Viviane Shklarek
Mein Leben mit Long Covid
19.12.2022Im Februar 2021 wurde bei Viviane Shklarek Long Covid diagnostiziert. Nach vielen Aufs und Abs und Momenten der Hoffnungslosigkeit sagt sie heute: „Ich bin zu 90 Prozent genesen.“
Es war ein milder Verlauf – zehn Tage leichtes Fieber im September 2020. Corona war längst vergessen, als sich bei Viviane Shklarek zwei Monate nach der Infektion diffuse Symptome bemerkbar machten. Drei Monate mühte sich die erfolgreiche Managerin und Marketingexpertin mit starker Müdigkeit, Sodbrennen, Muskelschmerzen, Bauchschmerzen, Histaminunverträglichkeit, plötzlich auftretendem Fieber sowie Gehirnnebel (Brainfog) durch den Alltag – bis es zum ersten „Crash“ kam. Der Krankenstand war unausweichlich. Hinter dem Rückkehrdatum: ein Fragezeichen.
Der Weg zu der Diagnose Long Covid war ein langer, denn die Befunde waren allesamt unauffällig. Der Ärztemarathon endete beim Neurologen Dr. Michael Stingl, der schon Jahre vor der Pandemie intensiv an den Langzeitfolgen viraler Erkrankungen forschte.
Start der Therapie. Mit dem sogenannten Pacing (siehe auch Info Seite 13) wurden erste Therapiemaßnahmen eingeleitet. „Hoffnungslosigkeit“, so beschreibt Shklarek ihre Gefühlswelt, machte sich breit. „Die Symptome wurden immer schlimmer. Im August 2021 war ich schließlich bettlägrig.“ Gepflegt wurde sie von ihrer Familie und Freund:innen. Hoffnungsschimmer waren stets die diversen experimentellen Therapien, die Shklarek probierte. Ein Medikament wurde im Dezember 2021 tatsächlich zum „Gamechanger“. Heute steht sie wieder Vollzeit im Berufsleben. Im Talk blickt sie zurück auf ihren Weg aus der Erschöpfung.
Vor fast zwei Jahren wurde bei Ihnen Long Covid diagnostiziert. Mittlerweile stehen Sie wieder im Job. Können Sie sagen: Ich habe Long Covid besiegt?
Viviane Shklarek: Ich würde sagen, dass ich zu 90 Prozent genesen bin. Ich kann u. a. wieder regelmäßig kurze Sporteinheiten machen. Mit Sicherheit nicht in der Intensität wie früher, aber da bin ich bewusst vorsichtig. Durch die Krankheit wird man aufmerksam auf das, was einem der Körper sagt. Dadurch bin ich achtsamer als früher, wenn ich merke, dass ich geistig oder körperlich erschöpft bin. Früher hätte ich z. B. in der Arbeit keine Pause gemacht, sondern einen Café getrunken und meinen Tag weiter verfolgt. Heute schließe ich fünf Minuten die Augen und meditiere.
Sie stehen wieder Vollzeit im Beruf. Ist das keine Überforderung?
Shklarek: Durch ein Hybrid-System ist es mir möglich, Arbeitstage zwischen Office und Homeoffice zu splitten, sodass ich auf meinen Körper hören kann. Meinem Arbeitgeber bin ich unendlich dankbar, dass ich während meines Krankenstandes kontinuierlich ermutigt wurde, auf meine Gesundheit zu achten, und ich keinerlei Druck verspürt habe, ins Office zurückkommen zu müssen. Auch die angebotene Wiedereingliederungsteilzeit war die perfekte Lösung, um behutsam wieder ins Arbeitsleben zu starten.
Sind Symptome geblieben?
Shklarek: Keine, außer ab und zu Schwankungen meiner Körpertemperatur.
Sie sprechen von 90 Prozent genesen. Besteht die Möglichkeit für 100?
Shklarek: Ja. ich weiß, dass das nur eine Frage der Zeit ist, solange ich mich nicht stresse. Das ist eines meiner größten Learnings während der Genesungsphase: Als ich aufgehört habe, jedes einzelne Symptom zu analysieren, während ich trotzdem auf die Energie-Levels meines Körpers gehört habe, sind sie irgendwann verschwunden.
Die eine Therapie gibt es nicht. Es gibt mittlerweile jedoch zahlreiche Ansätze u. a. mit Medikamenten, die seit Jahren gegen andere Erkrankungen eingesetzt werden und auch bei LC Erfolge zeigen – wie Antihistaminika oder Antidepressiva. Welche haben Ihnen geholfen?
Shklarek: Der Gamechanger war vor einem Jahr ein entzündungshemmendes und antivirales Antidepressivum. Auch CBD-Tropfen, Medikamente, die die Überaktivität von Mastzellen drosseln, Physiotherapie und die Grinberg-Therapie haben mir gutgetan. Letztere hilft Schmerzen und Symptome zu fühlen, „da sein zu lassen“ und durch bewusstes Atmen den Körper in seiner Selbstheilung zu unterstützen. Nicht zuletzt war die Rückkehr in die Arbeit mental immens wichtig für mich sowie mein Partner (Anm.: Sie lernte ihn im fortgeschrittenen Genesungsprozesses kennen). Seitdem ich ihn habe, hat sich der Aufwärtstrend beschleunigt. Die Sicherheit, die er mir gibt, und die Unterstützung in jeder Phase meines Befindens haben mich mental nochmals auf eine ganz andere Ebene gebracht.
Symptome sind mannigfaltig. Worunter litten Sie am meisten?
Shklarek: Unter der Histaminunverträglichkeit – all die guten Sachen darf man nicht essen! Zudem litt ich unter Sodbrennen, Schlaflosigkeit, Kreislaufproblemen, Müdigkeit, schwankender Körpertemperatur, Schmerzen, Schwäche sowie Empfindungsstörungen, wie Brennen – ich hatte ein ungutes Körpergefühl.
Besteht die Befürchtung, dass Symptome zurückkehren könnten?
Shklarek: Ich schaue unglaublich positiv in die Zukunft. Manchmal wache ich auf und muss mich selbst zwicken, um zu realisieren, wie weit ich in den letzten Monaten gekommen bin. Vor einem Jahr habe ich eine Stunde gebraucht, um zu duschen. Denn mein Puls begann schnell zu steigen und ich musste unbedingt darauf achten, dass er nicht auf 180 schnellt. Denn dann drohte sofort ein Erschöpfungszustand, ein Crash. Heute ist Duschen wieder nur mehr ein klitzekleiner Teil meines Tages. Das Gedächtnis löscht natürlich bewusst Episoden aus dem Leben, die nicht angenehm sind, und es ist ein schmaler Grat zwischen das Leben wieder genießen und an die nicht so schönen Zeiten denken, um das Heute mehr zu schätzen. Ich bin auch Familie und Freund:innen, dankbar, da sie mich daran erinnern, wie weit ich gekommen bin, und dass ich quasi die Alte bin.
Was ist Ihr Rat an LC-Betroffene?
Shklarek: Nur einer: auf den Körper hören und vertrauen, verschiedene Medikamente und Ansätze ausprobieren – jedem hilft was anderes. Und: keine Angst vor der Zukunft haben. Die Ungewissheit, ob und wie LC geheilt werden kann, hat mich in der Genesung am meisten gehindert, weil mich das gestresst hat, und ein entspanntes Nervensystem ist in meiner Erfahrung die Hauptvoraussetzung, damit der Körper sich so schnell erholen kann.