Erste-Hilfe-Kurs
SOS-Guide für Eltern
21.06.2021Kinderarzt DDR. Michael Wagner gibt Tipps zur Versorgung von Notfällen.
Unbändige Neugierde und ein starker Bewegungsdrang sind essenzielle Motoren der kindlichen Entwicklung. Sie bringen den Nachwuchs jedoch auch häufig in Gefahr. Verbrennungen und Verbrühungen führen die Liste der häufigsten Notfälle bei Kindern an. Auch Unfälle mit Laufrädern, Verletzungen durch Glas und Stürze werden häufig in den Notfallambulanzen verzeichnet. Ein kindersicheres Umfeld ist das Um und Auf, um Kinder vor Verletzungen zu bewahren. Doch nicht alle Unfälle lassen sich vermeiden.
Im Notfall gilt es möglichst Ruhe zu bewahren und das Kind rasch und fachgerecht zu versorgen. Eine gute Vorbereitung kann dabei unterstützen, in Stresssituationen einen klaren Kopf zu behalten und richtig zu handeln. DDr. Michael Wagner, Kinderarzt an der Uniklinik für Kinder- und Jugendheilkunde am AKH, ist spezialisiert auf Kindernotfälle und arbeitet seit vielen Jahren als Trainer in der Ausbildung von Pflegepersonal, Ärzten & Co. sowie auch Eltern/Großeltern in diesem Bereich. Auf den kommenden Seiten teilt er einen hilfreichen Leitfaden zur Versorgung häufiger Notfälle.
Verbrennungen und Verbrühungen
1. Kleine Brandverletzungen sofort mit hand- oder lauwarmem Wasser kühlen, um Hautschäden zu begrenzen (max. 10 bis 15 Min). Verbrennungen im Gesicht am besten mit einem feuchten Tuch kühlen.
2. Sauber halten und ggf. desinfizieren. Brandblasen nicht selbst öffnen. Offene und nässende Wunden desinfizieren: Schmerzfreien Wundspray aufsprühen und Einwirkzeit (entsprechend Packungsbeilage) einhalten, das verhindert Wundinfektionen.
3. Wunde mit einem kühlenden Wundgel versorgen: ein- bis zweimal täglich bis zum vollständigen Abheilen dünn auf die Verbrennung auftragen. Das fördert den Heilungsprozess, lindert den Juckreiz, schützt vor einer Infektion und hilft, das Narbenbild zu verbessern.
4. Bei Bedarf kann die betroffene Stelle mit einem Pflaster oder einem Verband abgedeckt werden.
Schürf-, Kratz-, Schnitt- und Bisswunden
Wunden, so weiß der Mediziner, können für Kinder und Eltern ganz schön furchteinflößend aussehen. Deshalb sei für Erwachsene zunächst einmal Umsicht angesagt, wenn Kinder sich verletzen. Die Eltern sollten möglichst ruhig bleiben und sich einen Überblick verschaffen, das Kind aber auch ernst nehmen und das Geschehene nicht kleinreden mit „Ist ja nicht so schlimm“ oder Ähnlichem.
1. Beziehen Sie Ihr Kind in die einzelnen Schritte der Wundversorgung mit ein, erklären Sie, was Sie tun, und lassen Sie es – je nach Alter – z. B. das Pflaster selbst aufkleben.
2. Besonders Schürfwunden sind häufig stark verunreinigt. Um zu verhindern, dass sie sich entzünden oder vielleicht sogar eitern, Wunden möglichst rasch mit idealerweise fließendem Trinkwasser auswaschen. Entfernen Sie kleine Steinchen oder andere grobe Verunreinigungen mit einer sauberen Pinzette und gereinigten, wenn möglich desinfizierten Händen. Eine verschmutzte Schnittwunde zur Reinigung kurz „ausbluten“ lassen. Achten Sie darauf, dass das Kind die Wunde nicht berührt.
3. Wenn eine Wunde stark blutet – häufig bei Schnittwunden der Fall – eine sterile Kompresse auf die saubere Wunde drücken, bis die Blutung gestillt ist.
4. Wundspray großzügig aufsprühen und die Einwirkzeit einhalten. Das tötet Keime ab, die sonst eine Wundinfektion verursachen und die Wundheilung verzögern können. Auch optisch saubere Wunden können mit Erregern von Wundinfektionen kontaminiert sein. Biss- und Kratzwunden sind dabei besonders gefährdet. Die Empfehlung deshalb: Wirklich jede Wunde mit einem schmerzfreien Wundspray desinfizieren. Von Vorteil sind farblose Produkte, weil der Heilungsverlauf gut beobachtet werden kann.
5. Wunden, die sauber und feucht gehalten werden, verheilen in der Regel schneller und schöner. Die harte Kruste, die als Folge trockener Wundheilung entsteht, kann den Heilungsverlauf verzögern und zu einem schlechteren Narbenbild führen. Ein Wundgel versorgt die Wunde mit Feuchtigkeit, unterstützt die Wundheilung und bildet eine Schutzschicht gegen Verunreinigungen. Das Wundgel trägt außerdem dazu bei, das kosmetische Ergebnis der entstehenden Narbe zu optimieren.
6. Die Wunde wird mit einem Pflaster oder Wundverband abgedeckt und geschützt, damit sie in Ruhe heilen kann. Jeden Tag das Pflaster erneuern, die Wunde desinfizieren und den Wundverlauf kontrollieren. Das Wundgel soll aufgetragen werden, bis die Wunde wirklich vollständig verheilt ist.
Achtung: Bei Wunden keinesfalls Salben oder andere „Hausmittel“ wie Puder, Mehl, Öl oder Zahnpasta verwenden! Das führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Komplikationen und tut meist auch noch weh. Auch in die Wunde blasen ist eher kontraproduktiv, weil so Keime in die Wunde gelangen können, die eine Wundinfektion verursachen können.
Wichtig: Wirkt die letzte Tetanusimpfung noch? Dies ist besonders bei stark verunreinigten Schürfwunden und Bisswunden von großer Bedeutung. Impfpass überprüfen und ggf. Impfung rasch auffrischen!
Sonnenbrand
1. Bei den ersten Anzeichen für einen Sonnenbrand (Rötung, Erwärmung der Haut) am besten einen geschlossenen kühlen Raum aufsuchen. Sonst zumindest in den Schatten wechseln und gereizte Haut durch leichte Kleidung oder andere Bedeckung vor weiterer Sonneneinwirkung schützen.
2. Überhitzte Haut langsam herunterkühlen – z. B. unter einer lauwarmen Dusche und weitere Sonneneinstrahlung vermeiden. Achtung vor Unterkühlung, vor allem bei Kindern und
bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen! Die Haut danach vorsichtig abtupfen oder an der Luft trocknen lassen.
3. Kühlendes, schmerzlinderndes Wundgel auftragen. Es versorgt die Wunde mit Feuchtigkeit, fördert die natürliche Regeneration und reduziert Juckreiz, Brennen und das Spannungsgefühl.
Zeckenbiss, Insektenstiche
1. Zecke bzw. nach Bienen- oder Wespenstichen den Stachel mit einer idealerweise desinfizierten Pinzette bzw. Zeckenzange langsam und gerade entfernen. Besonders bei Zecken sollte das langsam und ohne Drehung passieren, um das Risiko einer Krankheitsübertragung zu senken. In Österreich ist eine FSME-Impfung empfohlen.
2. Areal rund um den Stich/Biss mit Wundspray desinfizieren, damit sich die Einstich-/Bissstelle nicht infiziert.
3. Einstich-/Bissstelle ggf. mit lauwarmen Umschlägen oder lauwarmem Wasser kühlen (z. B. bei Bienen- oder Wespenstichen). Dünne Schicht Wundgel auf die Einstich-/Bissstelle auftragen. Das Gel lindert Juckreiz und schützt die Wunde. Die nächsten Tage beobachten und bei starker oder sich ausbreitender Rötung einen Arzt aufsuchen.
Fieberkrämpfe
Ein Fieberkrampf ist ein Krampfanfall, der durch einen plötzlichen, schnellen Fieberanstieg ausgelöst wird und meist innerhalb weniger Minuten wieder vorüber ist. Zwei bis fünf Prozent der Kinder zwischen sechs Monaten und fünf Jahren sind betroffen.
1. V. a. wenn es sich um den ersten Fieberkrampf handelt, bewahren Sie Ruhe und wählen Sie sofort den Notruf 144.
2. Bis zum Eintreffen der Rettungskräfte das Kind weich lagern, z. B. im Bett. Lassen Sie Ihr Kind nicht unbeobachtet und achten Sie besonders auf Verletzungsgefahren (z. B. durch Anstoßen). Während des Krampfens das Kind auf keinen Fall schütteln oder festhalten!
3. Nach dem Anfall Bewusstsein und Atmung des Kindes überprüfen. Wenn das Kind bewusstlos oder benommen ist, aber normal atmet, in stabile Seitenlage bringen, von äußeren Reizen (laute Geräusche oder Licht) abschirmen und beruhigen. Fieber senken.
4. Wenn das Kind bewusstlos ist und nicht normal atmet: Sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen beginnen, bis die Rettungskräfte eingetroffen sind. Die richtige Durchführung von Wiederbelebungsmaßnahmen kann in Kindernotfallkursen erlernt werden. Meistens verläuft ein Fieberkrampf harmlos und bedarf keiner weiteren Behandlung. Dennoch sollte v. a. beim ersten Fieberkrampf eine Abklärung erfolgen.
Verschlucken
Vor allem kleinere Kinder erkunden die Welt mit allen Sinnen und stecken Dinge dazu in den Mund. Das kann dann zum Problem werden, wenn ein Fremdkörper in die Atemwege rutscht – erkennbar an Atemnot, plötzlich einsetzendem Husten ohne jegliche Infektzeichen, Würgen oder die plötzliche Unfähigkeit zu sprechen.
1. Schauen Sie, ob ein Fremdkörper im Mund bzw. Rachen sichtbar ist. Falls ja, versuchen Sie diesen vorsichtig unter Sicht zu entfernen.
2. Lässt sich der Fremdkörper nicht entfernen und das Kind hustet, kann aber noch ausreichend atmen, kräftig weiter husten lassen, bis der Gegenstand ausgehustet wird.
3. Wenn der Gegenstand nicht ausgehustet werden kann, die Atmung eingeschränkt ist oder das Kind sogar deutliche Atemnot zeigt Notruf 144 wählen!
Bis zum Eintreffen der Rettung gibt es Unterstützungsmöglichkeiten zur Fremdkörperentfernung: „Mit der flachen Hand 5x kräftig zwischen die Schulterblätter schlagen, dann den Heimlich-Handgriff 5x anwenden bei Kindern über 1 Jahr bzw. ein Druck auf den Brustkorb bei Kindern unter 1 Jahr“. Das Prozedere so lange wiederholen, bis die Rettung eintrifft. Sollte es zur Bewusstlosigkeit kommen, das Kind auf dem Rücken lagern und mit Wiederbelebungsmaßnahmen fortfahren.
Vergiftungen
Vergiftungsunfälle passieren meist durch unbeabsichtigte Einnahme von Haushaltsprodukten, Medikamenten, Pflanzenteilen o. Ä. Zwar sind schwere Vergiftungen durch Substanzen des täglichen Gebrauchs selten, rasches Handeln ist jedoch in jedem Fall wichtig. Bei Verdacht auf eine Vergiftung umgehend die Vergiftungsinformationszentrale anrufen: +43 (0)1 406 43 43. Geben Sie so viele Informationen wie möglich weiter (Was wurde eingenommen? Wie viel? Wann?) und folgen Sie den Anweisungen. Wichtig: Keine eigenen Maßnahmen setzen wie z. B. Erbrechen herbeiführen oder Milch trinken. Bei Anzeichen akuter Lebensgefahr sofort Notruf 144 wählen und Wiederbelebungsmaßnahmen durchführen!
Wann mit dem Kind zum Arzt?
Schwerere Wunden:
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❯❯ Die Haus- und Reiseapotheke
Was unbedingt in den Apotheken-Schrank oder den Koffer gehört, wenn Kinder mit dabei sind. Die Tipps vom Mediziner:
l Fieberthermometer
l fiebersenkende / schmerzstillende Medikamente (Saft oder Zäpfchen)
l Sterile Kochsalzlösung
l Orale Rehydratationslösung (Traubenzucker-Mineralsalz-Gemisch)
l Wundversorgung: Wundspray, Wundgel, Händedesinfektionsmittel, Pflaster in verschiedenen Größen, sterile Kompressen, Mullbinden,
Blasenpflaster, Schere, Pinzette
l abschwellende Nasentropfen (nur für den kurzzeitigen Gebrauch) oder Meersalzlösung
l Bedarfsmedikamente vom Kinderfacharzt
❯❯ Saubere Wundversorgung
✏ Das rät der Spezialist für Kindernotfälle
„Wunden“, so DDr. Wagner, „die sauber und feucht gehalten werden, verheilen in der Regel schneller und schöner. Wundspray und Wundgel gehören daher in jede Haus- und Reiseapotheke und haben in jedem Rucksack Platz. Wesentlich ist, dass die Produkte beim Auftragen nicht brennen. Besonders vorteilhaft sind farblose Produkte, weil sie keine Flecken in der Kleidung hinterlassen und die Wunde auch nicht einfärben.“
✏ Wirkstoff-Empfehlung
„Ein Klassiker in der Wundversorgung“, so DDr. Wagner, „ist der antiseptische Wirkstoff Octenidin. Seit über 30 Jahren ist er im klinischen Einsatz gegen Bakterien, Pilze und einige Viren – auch bei Kindern, Babys (z. B. zur Nabelpflege) und sogar bei Frühgeborenen. Zudem ist er sehr gut verträglich und zeichnet sich durch ein extrem niedriges Allergiepotenzial aus, besonders im Vergleich zu PVP-Jod oder Chlorhexidin.“
Tipp: Kindernotfallkurse
Um im Fall der Fälle vorbereitet zu sein: Die Kinderarztpraxis Schumanngasse in Wien bietet ein breites Kursangebot für Eltern, Großeltern und alle Interessierten an – u. a. zu Kindernotfällen und lebensrettenden Sofortmaßnahmen (u. a. geleitet von DDr. Wagner). Wer die Kurse besucht, soll danach die häufigsten Notfallsituationen im Kindes- und Jugendalter sowie notwendige Sofortmaßnahmen kennen und durchführen können. Die Kurse sollen Angst nehmen, Notfallsituationen vorbeugen und im Falle eines Notfalls helfen, die richtigen Handlungen zu setzen. Themengebiete sind neben der Beatmung und Herzdruckmassage bei Kindern auch Atemwegsbeschwerden, Fieber, Krämpfe bis hin zu Zeckenbissen und Wunden. www.kinderarztpraxis-
schumanngasse.at