Die medikamentöse Krebstherapie wird wirksamer, besser verträglich und auch leichter außerhalb der Krankenhäuser anwendbar. Das entspricht auch den Anforderungen, welche die Betreuung von älteren Patienten stellt. Dies erklärten die Wiener Onkologen Heinz Ludwig (Wilhelminenspital) und Johannes Schüller (Rudolfstiftung) am Rande des Europäischen Krebskongresses in Berlin (bis 24. September).
Ein gutes Beispiel sind Weiterentwicklungen der vergangenen Jahre, in denen es beispielsweise gelang, ehemals aufwendig mit Infusionen im Krankenhaus verabreichte Chemotherapien in Tablettenform zu "verpacken". Ein solches Arzneimittel ist Capecitabine, das dem Spitalspräparat 5-Fluorouracil entspricht. Capecitabine ist eine Vorform von 5-FU, die erst nach dem Erreichen von Krebszellen in die eigentliche Wirksubstanz umgewandelt wird.
Ludwig: "Statt eine hohe Dosis alle drei bis vier Wochen zu geben, nimmt der Patient die Substanz dauernd. Damit hat man eine größere Chance, auch 'schlafende' Krebszellen zu treffen, die sich nur alle paar Tage teilen. Es handelt sich also um eine kontinuierliche Therapie. Diese 'Prodrug' wirkt deutlich mehr in Krebszellen als in gesunden Zellen - und sie ist auch patientenfreundlich in der Anwendung."
Der rein medizinische Fortschritt liegt wahrscheinlich darin, dass man mit einer Tabletten-Dauertherapie auch bösartige Zellen erwischt, die durch das "Netz" einer Infusion alle drei bis vier Wochen sprichwörtlich entkommen. Doch das ermöglicht zusätzlich die Behandlung von Patienten zu Hause, ohne dass sie regelmäßig ins Spital fahren müssen. Diese Verlagerung von Krebstherapien aus den Krankenhäusern hinaus - und somit auch die Verlagerung der Kosten von den Spitalserhaltern zu den Krankenkassen - wird mittlerweile auch von den Krankenversicherungen mitgetragen. Schüller: "Wir haben einen Chefarzt der Gebietskrankenkasse im Krankenhaus. Er bewilligt auch diese (relativ teuren, Anm.) Medikamente. Man muss argumentieren, aber es klappt."
Warten auf Post-Chemotherapie-Ära
Neue Arzneimittel zur Behandlung von bösartigen Erkrankungen, zum Beispiel die ebenfalls in Tablettenform einzunehmenden Tyrosinkinase-Hemmer, werden diesen Trend in der Medizin noch verstärken. Was noch hinzukommt, so Ludwig: "Mit diesen zielgerichteten Therapien hoffen wir doch, einmal eine Post-Chemotherapie-Ära zu erreichen. Wir alle warten dringend darauf."
Das alles hat zu Behandlungsmöglichkeiten bei Krebs geführt, von denen die Mediziner ehemals nur zu träumen wagten. Schüller: "Beim Nierenzellkarzinom haben wir Möglichkeiten bekommen, die wir nie hatten. Mit zielgerichteten Therapien hoffen wir für die Zukunft, den tatsächlichen Fehler, der zu Krebs führt, behandeln zu können. Man 'behandelt' ja auch nicht einen 'Opel' oder einen 'VW', sondern einen kaputten Keilriemen."
Die durch die modernen Krebstherapien entstehenden Kosten sind nicht so, dass sie die Gesellschaft in Österreich nicht tragen könnte. Schüller: "Uns sagt der Chefarzt im Spital, dass es nicht die Krebstherapien sind. Das sind die 'Massenpräparate' ("Magenschutz", Cholesterinsenker etc.)."
In Wien wurde übrigens mit einer eigenen Strategiegruppe im Krankenanstaltenverbund (KAV), an der auch Vertreter Niederösterreichs und des Burgenlands teilnehmen, ein Forum geschaffen, das den optimalen Einsatz moderner Krebstherapeutika diskutiert und abstimmt.
Gleichzeitig wird dieses Gremium auch benutzt, um die neuesten Erkenntnisse der Onkologen möglichst schnell in die Routine in den Spitälern auch außerhalb von wissenschaftlichen Studien umzusetzen. Wartet man dabei nämlich - so wie in Großbritannien - auf die Entscheidung sogenannter "Health-Technology-Assessment"-Gremien, dauert das womöglich Jahre. Währenddessen können Patienten sterben, die sonst von einer neuen Therapie bereits profitiert hätten.