Apothekertagung: Depressionen sind keine "Mode"

01.03.2010

Eine schwere, oft lange andauernde Krankheit, keine "Modeerscheinung": Depressionen. Nimmt man alle Formen zusammen, beträgt der Anteil der Menschen, die daran erkranken, 15 Prozent.

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"Grob gesagt erlebt ein Fünftel der Bevölkerung eine Depression", sagte Sonntagnachmittag bei der 43. Wissenschaftlichen Fortbildungswoche der Österreichischen Apothekerkammer (bis 5. März), der Grazer Experte Peter Hofmann (Universitätsklinik für Psychiatrie). Vehement sprach er sich gegen das oftmalige Umstellen von Patienten von einem Medikament auf ein anderes aus ökonomischen Gründen aus.

Das Teuflische an der Erkrankung: Biologische Faktoren (auch die Genetik), soziale Faktoren und psychologische Umstände spielen zusammen. Das führt bei vielen Patienten auch zu einer Verkettung sie benachteiligender und schädigender Umstände. Die psychische Störung und Verhaltensauffälligkeiten bewirken eine schlechtere medizinischen Versorgung und einen ungünstigeren Verlauf. Antriebslose suchen weniger oft Hilfe. Schlechtere Bildung und niedrigeres Einkommen verschlechtern die Aussichten der Betroffenen noch mehr.

Dabei treten Depressionen zumeist nicht allein auf. Die Zahlen des Experten: 13,5 Prozent der Betroffenen sind auch alkoholkrank, 6,1 Prozent von anderen Drogen abhängig. Oft ist da Leiden auch mit Angstzuständen verbunden. Hinzu kommt, dass bei Depressionen die verschiedensten Symptome auftreten können: Interesse- und Freudlosigkeit betreffe 96,2 Prozent, Schlafstörungen 92,4 Prozent, Konzentrations- und Denkstörungen 86 Prozent. An Schuld- und Wertlosigkeitsgefühlen leiden 74,4 Prozent der Patienten. Etwa die Hälfte der Betroffenen denkt an den Tod. Der Experte: "Die meisten Menschen, die sich um bringen, sind depressiv." Die Suizidrate bei Betroffenen beträgt um die fünf Prozent.

In Österreich speziell betroffen sind offenbar Männer ab dem Alter von 65 Jahren. Bis zum Alter von 85 Jahren schnellt die Suizid-Häufigkeit von über Jahrzehnte hinweg um die 30 Opfer pro 100.000 und Jahr auf an die 180 Suizide pro 100.000 hinauf. Bei den hoch betagten Frauen sind es etwa 20 Suizide pro 100.000.

Auf jeden Fall benötigen Depressive eine Therapie, die lange genug andauert und eventuell sogar lebenslang sein muss, um Rückfälle zu verhindern. Der Grazer Experte: "Nach eine ersten depressiven Phase kommt es zu 60 Prozent zum Wiederauftritt der Erkrankung, nach zwei Phasen sind es 70 Prozent und nach drei Phasen 90 Prozent. Ein Drittel der Betroffenen ist zumindest zwei Jahre krank."

Seit den 1980er-Jahren haben moderne Antidepressiva - zum Beispiel Serotonin- und/oder Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer - die Therapie der Erkrankung revolutioniert. Im Vergleich zu den alten trizyklischen Antidepressiva weisen sie dramatisch weniger Nebenwirkungspotenzial auf. Die Suizidgefahr durch Überdosierungen ist de facto nicht mehr gegeben.

Doch es muss - so Peter Hofmann von der Grazer Universitätsklinik in Saalfelden bei der diesjährigen Apothekertagung - ausreichend und ausreichend lang behandelt werden: "Ein Gesundwerden erreicht man bei einem Drittel bis 40 Prozent der Patienten. Wir behandeln, bis die Symptome weg sind. Dann sollte wenigstens ein halbes Jahr weiter therapiert werden. Schließlich kann man ausschleichen. Depressive, die ein bis zweimal jährlich Episoden erleiden, sollten dauerhaft Antidepressiva bekommen."

Der Kreis der Patienten und ihre Gefährdung auch durch andere Krankheiten ist allerdings groß. Der Experte: "Bei Personen mit Depressionen bei einer koronaren Herzkrankheit ist das Risiko für einen Herzinfarkt um das Drei- bis Vierfache erhöht. Depressionen bei einem Herzinfarkt bedeuten das Drei- bis Vierfache Mortalitätsrisiko. Die Hälfte der Schlaganfallpatienten ist depressiv. 65 Prozent der Depressiven haben Schmerzen."

Deshalb käme es eben gerade bei diesen Betroffenen an, die Depression in den Griff zu bekommen. Die von Politik und Krankenkassen betonten Sparzwänge im Gesundheitswesen, die auch dazu führen, dass Patienten vermehrt auf das jeweils billigste Arzneimittel - und dies mehrfach - umgestellt werden sollen, könnte gerade die besonders vulnerable Gruppe der Menschen mit Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen empfindlich treffen. Oft stehen sie Arzneimitteln sehr kritisch gegenüber, Wechsel in den Präparaten können die Therapietreue leicht reduzieren.

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