Wenn Lisa an ihre Oma denkt, dann sieht sie eine unglückliche Frau vor sich. Je älter ihre Großmutter wird, umso trauriger ist sie. Die 89-Jährige geht fast nie aus dem Haus, sitzt stundenlang grübelnd in ihrem Sessel. Gegen ihre Schlafstörungen hat sie vom Hausarzt Beruhigungsmittel verschrieben bekommen. Aber Lisa glaubt: Die Tabletten sind keine richtige Hilfe. Ihre Oma ist depressiv.
Eine Behandlung beim Psychologen kann sich die Rentnerin aber nicht vorstellen: "Ich bin doch nicht irre." Lisas Oma ist kein Einzelfall: Jeder vierte Mensch über 65 Jahre leidet einer wissenschaftlichen Arbeit der Universität Zürich zufolge an einer psychischen Störung. Auf der anderen Seite sind jedoch nur 0,2 bis 2 Prozent der Patienten in psychotherapeutischen Praxen älter als 60 Jahre. Für die Therapeuten ist dieses Missverhältnis schwer nachvollziehbar, schließlich kann eine Therapie Menschen in jedem Alter helfen.
"Neben einer Demenz gehören Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, an denen ältere Patienten leiden", sagt die Psychotherapeutin Cathrin Raasch aus Wiesbaden, die auch in der Geriatrie arbeitet. Laut Studien sind drei bis vier Prozent der Über-65-Jährigen an einer schweren depressiven Störung erkrankt, 13 Prozent an einer leichteren. Warum gehen so wenige zum Psychotherapeuten? "Dafür gibt es viele Faktoren." Viele Betroffenen würden diese Behandlungsform gar nicht in Erwägung ziehen.
Hinzu kommt, dass die Betroffenen häufig die Symptome etwa einer Depression nicht erkennen und keinen Arzt aufsuchen. Oder der Doktor diagnostiziert die psychische Erkrankung nicht. "In der älteren Generation ist das Wissen über Psychotherapie oft noch zu wenig verbreitet", sagt Nikolaus Melcop, Psychotherapeut aus Landshut. Es gebe noch immer Vorurteile, doch die nähmen tendenziell ab.
Werden Betroffene nicht behandelt, kann das schwerwiegende Folgen haben. Vor allem bei Männern steige mit dem Alter das Suizidrisiko, warnt Melcop, der Präsident der bayerischen Psychotherapeutenkammer ist. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes waren 2006 rund 60 Prozent der freiwillig aus dem Leben Geschiedenen 50 Jahre und älter. Dabei zählen Depressionen zu den Hauptursachen für einen Suizid. Aber auch wenn die psychische Krankheit nicht so gravierend ist, kann sie zu erheblichem Leid führen. "Ältere Menschen klagen häufiger über Angst- und Schlafstörungen."
"Die Gründe für die Verstimmungen sind vielfältig und individuell", erläutert Maria Gropalis, Diplom-Psychologin an der Institutsambulanz für Psychotherapie der Universität Mainz. Viele Menschen haben zum Beispiel Schwierigkeiten zu akzeptieren, dass die körperliche Leistungsfähigkeit nachlässt. Zudem verändert sich das Leben mit dem Ausstieg aus dem Beruf oft grundlegend, manchmal kommen Krankheiten hinzu oder der Tod des Ehepartners. Eine Therapie könne helfen, mit der veränderten Lebenssituation besser klar zu kommen.
Ob der Opa an einer Depressionen erkrankt ist, können Angehörige daran merken, "dass die Person sehr anders ist als sonst", sagt Raasch. "Die Betroffenen sind häufig extrem reizbar, wehleidig, sehr ängstlich und meiden soziale Kontakte." Den Alltag zu bewältigen, bereite ihnen zunehmend Probleme." Hat man diese Befürchtung, spricht man sie besser an.