Endlich Schluss – sei es mit dem Rauchen, dem Trinken oder anderen Suchtmitteln. Das zählt zu den häufigsten Neujahrsvorsätzen. Doch wie entsteht überhaupt eine Sucht, und wie kann man sich nachhaltig davon entwöhnen? Diese Fragen beantwortet Suchtmediziner Dr. Hans Haltmayer.
Der erste, heimliche Zug an einer Zigarette vermittelt ein Gefühl von Emanzipation, Erwachsensein und Freiheit. Doch viele Jahre später hat die hektische Suche nach dem nächsten Tschick-Automaten so gar nichts mehr mit Freiheit zu tun. Die Sucht erfüllt eine Funktion: Sie reduziert Stress, hebt die Stimmung, wirkt beruhigend. Aber die Abhängigkeit gefährdet die Gesundheit und das seelische Wohlbefinden, indem sie an etwas bindet, das dem Körper schadet.
Wenn Zigaretten, Alkohol, Medikamente und Co. den Alltag bestimmen, entsteht oft der Wunsch nach Unabhängigkeit. Die "Schock-Entwöhnung" von heute auf morgen gelingt nur wenigen. Suchtmediziner und ehemaliger Drogenbeauftragter der Stadt Wien Dr. Hans Haltmayer verrät, wie eine Sucht entsteht, wie sich Suchtmittel voneinander unterscheiden und welche Entwöhnungsmethoden sinnvoll sind, um eine Sucht Schritt für Schritt abzulegen.
Wie entsteht eine Sucht?
Dr. Hans Haltmayer: Generell entwickelt sich eine Sucht langsam und kontinuierlich und hängt von vielen Faktoren ab. Das Selbstbewusstsein, das Erleben schwerwiegender traumatischer Situationen, genetische Komponenten sowie gesellschaftliche Einflüsse spielen dabei eine Rolle. Sucht kann sich aber auch auf Verhaltensweisen beziehen, nicht nur auf Substanzen.
Sucht entsteht weitgehend im Belohnungssystem unseres Gehirns durch die Transmittersubstanz Dopamin, die durch Verhaltensweisen und Veränderungen ausgeschüttet wird. Dopamin hat einen sehr anregenden Mechanismus im Gehirn und markiert positive Ergebnisse, vergleichbar mit einem "Like" auf Facebook. Der Körper weiß, wie der Social-Media-Algorithmus, was einem gefällt. Dies kann in Folge dazu führen, dass man sich fast ausschließlich mit dieser Substanz beschäftigt.
Gibt es Substanzen die schneller süchtig machen als andere?
Dr. Hans Haltmayer: Es gibt Unterschiede in der Wirkung von Suchtmitteln auf den Körper und ob sie eine körperliche Abhängigkeit erzeugen oder nicht. Beispielsweise tritt dies beim Alkohol erst sehr spät auf; 80 Prozent der Menschen mit einem Alkoholproblem haben keine körperliche Abhängigkeit. Beim Rauchen liegt die Abhängigkeit zwar am Nikotin, doch für die sekundären Schäden sind die verbrannten Substanzen (Anm. Tabak) verantwortlich. Auch Koffein kann schnell süchtig machen, während Medikamente und Beruhigungsmittel relativ rasch abhängig machen können. Das kann sogar schon nach nur 8 Wochen sein.
Ab wann gilt man als süchtig?
Dr. Hans Haltmayer: Es gibt eine allgemeine Definition und bestimmte Kriterien, die erfüllt werden müssen. Dazu gehören ein starker Wunsch oder Zwang, bestimmte Substanzen zu konsumieren, sowie der Verlust der Kontrolle über die Menge, trotz schädlicher Folgen. Zum Beispiel, man trinkt weiter, obwohl man alkoholisiert einen Autounfall hatte, oder man raucht weiter, obwohl man beim Treppen steigen keine Luft mehr bekommt. Bei einigen Substanzen tritt auch körperliche Abhängigkeit auf, etwa bei Opiaten (Anm.: Drogen oder starke Schmerzmittel) mit unangenehmen Entzugserscheinungen wie Muskelkrämpfen, Erbrechen, Durchfall, innerer Unruhe und Depression, die es Betroffenen fast unmöglich machen die Sucht ohne Behandlung abzusetzen.
Ab wann sollte man (sich) Hilfe suchen?
Dr. Hans Haltmayer: Man sollte dann Hilfe suchen, wenn man feststellt, dass man zunehmend die Kontrolle verliert oder Interessen vernachlässigt. Körperliche Auswirkungen, beispielsweise weniger oder kein Sport bei Raucher:innen, sind ebenfalls ein Alarmsignal. In der Regel ist die Sucht dann so weit fortgeschritten, dass man nicht mehr alleine aufhören kann. Dann ist es wichtig, sich rechtzeitig professionelle Unterstützung zu suchen. Suchterkrankungen im Frühstadium lassen sich in der Regel gut behandeln. Doch je länger eine Suchterkrankung dauert und je mehr Folgeschäden entstehen, je schwieriger lässt sich die Sucht wieder entwöhnen.
Wie hilft man betroffenen Familienmitgliedern/ Freund:innen/ Partner:innen?
Dr. Hans Haltmayer: Es ist wichtig, das Problem immer direkt anzusprechen und dabei vorsichtig Bewusstsein zu schaffen. Man sollte klar machen, dass das Problem sichtbar ist, zum Beispiel: "Mir fällt auf, du kommst nach der Arbeit nicht mehr direkt nach Hause, sondern gehst stattdessen etwas trinken". Man muss sich bewusst sein, dass solche Gespräche nicht immer konfliktfrei verlaufen. Daher sollte nicht nur der:die Süchtige Unterstützung suchen, sondern auch die Unterstützung für sich selbst. Wie die Behandlung aussieht, ist individuell. Wichtig ist nur, dass der Betroffene das Gefühl hat, er:sie macht es für sich selbst und nicht für jemanden anderen.
Von einem Tag auf den nächsten aufzuhören ist für viele unmöglich, laut Expert:innen auch nicht ratsam. Wie setzt man sich nachhaltige Etappen-Ziele?
Dr. Hans Haltmayer: Bei Alkoholabhängigkeit können sich die meisten Betroffenen eine vollständige Abstinenz nicht vorstellen. Hier ist es wichtig, die Menge zu reduzieren und sinnvolle Ziele mit Expert:innen zu setzen, etwa alkoholfreie Tage oder erst ab einer bestimmten Uhrzeit zu trinken. Bei Nikotin setzt man bei der Entwöhnung auf Schadensminimierung, etwa durch Alternativprodukte wie Nikotin-Pouches oder E-Zigaretten. Diese enthalten weniger schädliche Substanzen und sind Alternativen für Raucher:innen die nicht aufhören wollen, ihrem Körper aber weniger Schaden zuführen möchten. An dem Suchtverhalten ändern diese Produkte aber nichts. Bei Opiatabhängigkeit erfolgt eine Substitutionstherapie mit Medikamenten, die anstatt den Drogen eingenommen werden. Das ändert zwar auch nichts an der Abhängigkeit, doch die Entzugserscheinungen und der Rausch werden dadurch besser ausbalanciert, um dem Körper weniger Schäden zuzuführen.
Was tun, wenn selbst nach mehreren Anläufen, nichts funktioniert?
Dr. Hans Haltmayer: Eine Suchterkrankung ist eine chronische Erkrankung, und die meisten Menschen benötigen mehrere Versuche, doch es ist eigentlich nie so, dass es gar nicht funktionieren kann. Wichtig ist, sich erreichbare Ziele mit Unterstützung zu setzen und schrittweise vorzugehen. Niemals aufgeben, sondern langsam, Schritt für Schritt, ein Ziel nach dem anderen erreichen. Es gibt keine Tipps, um eine Sucht komplett zu vermeiden, aber frühzeitige Hilfe zu organisieren ist ratsam, da Suchterkrankungen im Frühstadium sehr gut behandelt werden können.