Fernreisende werden immer risikofreudiger
18.01.2010Gefährliche Adrenalinstöße. Österreichische Reise-und Tropenmediziner warnen: Während es unter Fernreisenden akzeptiert wird, dass man sich notwendigerweise mit Impfungen vor in anderen Staaten grassierende Erkrankungen schützen sollte, begeben sie sich immer häufiger in die Gefahr von Unfällen.
"Die Urlaubswünsche der Leute werden immer extremer. Unfälle sind reisemedizinisch gesehen die häufigste Todesursache von Touristen", sagte Martin Haditsch vom Travel Med Center in Leonding (OÖ) bei einem Hintergrundgespräch in Wien. Malariaprophylaxe, die eine oder andere Impfung, eine mehr oder minder gut bestückte Reiseapotheke - das ist gerade noch als Vorsorge akzeptiert, doch Gefahren für die Gesundheit sind sehr häufig in ganz anderen Teilaspekten des Tourismus versteckt.
Herwig Kollaritsch vom Zentrum für Reisemedizin in Wien: "Das Hauptproblem ist, dass wir in einer uns bekannten Gegend aufwachsen - und uns bei Fernreisen in eine Situation begeben, die wir nicht kennen. Die Population der alten Reisenden steigt enorm an." Haditsch ergänzte: "Es sind nicht nur die gesunden Erwachsenen zwischen 20 und 40, die reisen. Es gibt eine Verschiebung weg von der gesunden Klientel. Eine Untersuchung in Deutschland im Jahr 2005 zeigte, dass 55 Prozent der Reisenden Senioren waren." Zum Teil schwere chronische Grunderkrankungen, insgesamt verringerte Leistungsfähigkeit und andere Faktoren können leicht zu Problemen führen.
Haditsch: "Dazu kommt, dass der Adrenalin-bestimmte Lebensstil von 'aktiv Reisenden' im Urlaub weiter getrieben wird." Da sei auch der zunehmende Alpintourismus zu nennen. Der Experte: "Das gefährlichste Unterfangen der Welt ist die Besteigung des K2. Die Tödlichkeit liegt bei zehn Prozent." Junge Menschen - das gelte auch für die derzeit so beliebten Massen-Maturareisen - würden zum Teil die Vernunft ausschalten, nur um möglichst viel Spaß zu haben.
Hinzu noch ein anderes Faktum: Was für einen Reisenden gerade noch erträglich ist, kann einen anderen mitunter in Lebensgefahr bringen. Der Wiener Tropenmediziner Kollaritsch: "Von der Reisediarrhoe sind beispielsweise jährlich 15 Millionen Reisende betroffen. Bei Erwachsenen ist das eine zumeist sich selbst limitierende vorübergehende Erkrankung. Bei Kindern kann das schnell zu einer ernstzunehmenden Situation werden. In Hoch-Risiko-Gebieten (z.B. Indien, Mittlerer Osten, Schwarzafrika) liegt das Risiko für eine Erkrankung bei 20 bis 90 Prozent. In Fünf-Stern-Hotels werden hier Diätfehler vom Ambiente verdeckt."
Hier müssten die Reisenden vor Antritt der Tour die einfachsten Hygienemaßnahmen eingehämmert werden - bis hin zum bekannten "Peel it, boil it or forget it!". Laut Untersuchungen begehen 98 Prozent der Fernreisenden innerhalb der ersten drei Tage im Ausland zumindest einen möglicherweise folgenschweren Fehler rund um die Nahrungsmittel-Hygiene. Obwohl beispielsweise Cholera-Impfstoffe wie "Dukoral" offenbar auch einen Schutzeffekt von 40 Prozent bei der normalen Reisediarrhoe aufweisen und neue Impfstoffe gegen "Montezumas Rache" in Erprobung sind, wird dieses Problem buchstäblich nicht "verschwinden". Neben Bakterien können nämlich auch verschiedenste Viren und Parasiten Durchfallerkrankungen auslösen.
Positiv: In frequentierten Reiseländern wie Tunesien, Südeuropa und der Türkei sank die Reisediarrhoe-Rate in den vergangenen Jahren stark. In Südeuropa war die Reduktion 80 Prozent, in Tunesien halbierte sie sich. Kollaritsch: "Da hat man bei den hygienischen Bedingungen Fortschritte gemacht."