Tablette statt Pieks. 1 Abnehm-Spritze pro Woche über 6 Monate lässt an die 15 Prozent Körperfett schmelzen – ohne Hunger. Der Diabeteswirkstoff Semaglutid wirkt. Nun gibt es ihn als Tablette.
Minus zehn, minus 20, minus 25 Kilo, ... – Erfolgsmeldungen in den sozialen Medien explodieren. #wegovy zählt 540 Millionen Aufrufe allein auf TikTok. Hinter dem mit einem Hashtag versehenen Medikamentennamen steckt der Wirkstoff Semaglutid – ursprünglich zur Behandlung von Diabetes Typ 2 entwickelt und mittlerweile heiß begehrte „Skinny Drug“.
Hype um Abnehmspritze
Vater des Hypes ist Elon Musk. 13 Kilo, twitterte er im Frühjahr, habe er mit einer Kombi aus Fasten und der „Abnehmspritze“ abgenommen. Seitdem steigt die Nachfrage rapide an. Sie wird mittlerweile nicht nur zur Therapie von Diabetes und Adipositas (Anm.: schweres Übergewicht) eingesetzt, sondern auch als Lifestylemedikament, um hartnäckige Fettkilos möglichst effizient und angenehm loszuwerden. Bis zu 17 Prozent des Körperfetts lassen sich durch den Wirkstoff in einem Zeitraum von etwa acht Monaten verlieren. Das sind zwei bis drei Kleidergrößen.
Expert:innen sprechen von einem Gamechanger. Dahinter stecken die sogenannten GLP-1-Rezeptoragonisten. Sie bilden das körpereigene Sättigungshormon GLP-1 nach und funken so dem Gehirn ein ständiges Sättigungsgefühl. Das Medikament ist also ein temporäres chemisches Magenband. Menschen, die es einnehmen, haben weniger Lust auf Essen. Manchen ist als Nebenwirkung leicht übel. Portionen fallen dadurch automatisch kleiner aus. So wird die Kalorienzufuhr gedrosselt – ohne, dass man Hunger verspürt. Dieser Wirkmechanismus führt im Idealfall zu einer langfristigen Lebensstilumstellung.
Die Abnehmspritze gilt als Wundermittel für Menschen mit Adipositas.
Tablette statt Pieks
Nachteil bis dato: Herkömmliches Semaglutid muss man sich einmal wöchentlich mittels Fertigpen in den Bauch spritzen. Eine Hemmschwelle für Nadelphobiker. Als Alternative wurde vor einiger Zeit eine Tablette, das orale Semaglutid, auf den Markt gebracht. Es ist bereits für die Behandlung von Diabetes Typ 2 zugelassen und soll – wie die Spritze – ebenfalls eine Zulassung für die Behandlung von Übergewicht erhalten.
Möglichkeiten in Österreich
Dr. Christian Wolf, FA für Plastische, Ästhetische & Rekonstruktive Chirurgie, behandelt Patient:innen mit Übergewicht bereits seit Anfang des Jahres in seiner Wiener Ordination mit oralem Semaglutid. Er wendet es im sogenannten Off-Label-Use an (Anm.: nicht bestimmungsgemäßer Gebrauch). Im Interview spricht er über die Behandlung, Nebenwirkungen und Erfolge.
Skinny Pill: Den Abnehm-Wirkstoff Semaglutid gibt es nun auch zum Schlucken.
Offiziell ist orales Semaglutid – noch – nicht zur Behandlung von Übergewicht zugelassen. Sie wenden es bereits als Alternativbehandlung an, um Patient:innen die regelmäßige Spritze zu ersparen. Ist das komplett sicher?
Dr. Christian Wolf: Den Wirkstoff Semaglutid gibt es sehr lange. Er ist gut erforscht und man weiß, dass er funktioniert. Das Medikament mit dem Handelsnamen Wegovy, das als Pen verabreicht wird, hat bereits die Zulassung sowohl für Diabetes Typ 2 (Anm.: Handelsname Ozempic) als auch für Adipositas. Die Tablette hat derzeit nur eine Zulassung für Diabetes Typ 2. Eine Zulassung für Adipositas wird aber – in höherer Dosierung - erwartet. Pen und Tablette haben denselben Wirkstoff und eine ähnliche Wirksamkeit. Mit der Tablette nimmt man ähnlich viel ab wie mit der Spritze. Also etwa zehn bis 15 Prozent des Körpergewichts. Genauso verhält es sich auch mit möglichen Nebenwirkungen. Der einzige Unterschied: Eine Tablette muss immer höher dosiert sein als ein Pen, da sie mit der Magensäure zu kämpfen hat. Aber daraus ergeben sich keine Nachteile in der Praxis. Wie läuft eine Behandlung ab?
Wie läuft eine Behandlung ab?
Dr. Wolf: Die Abnehmtherapie beginnt mit einer Anamnese, einem medizinischen Check-up und einer ausführlichen Beratung sowie Aufklärung.
Im Rahmen einer medizinischen Betreuung gibt es dann das Medikament – entweder als Spritze oder Tablette. Für beide Therapieformen beziehe ich die Originalmedikamente direkt aus dem Herstellerland USA.
Ist das orale Medikament für alle geeignet?
Dr. Wolf: Bei der Tablette muss man vor allem darauf achten, welche anderen oralen Medikamente – z. B. für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – bereits eingenommen werden. Denn da kann es zu Interaktionen kommen. In diesem Fall ist der Pen die bessere Wahl. Wenn jemand noch keine Tabletten bekommt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das orale Semaglutid gut vertragen wird.
Was sind die Vor- und Nachteile des oralen Medikaments gegenüber dem Pen?
Dr. Wolf: Das orale Medikament ist viel praktikabler. Den Pen – so meine Empfehlung - sollte man kühl lagern und sich im Fall von Semaglutid einmal die Woche mittels Injektion stets um dieselbe Zeit verabreichen - und das ohne Unterbrechung der Kühlkette. Die Tablette nimmt man einfach aus dem Schrank und nimmt sie ein. Die Einnahme ist allerdings wiederum täglich erforderlich. Ebenfalls um dieselbe Zeit. Die Tageszeit kann man sich aussuchen. Für Menschen, die Spritzen scheuen und/oder viel unterwegs sind, hat sich die Tablette als alltagstauglichere Variante erwiesen.
Der Hype um das Medikament ist ob der sozialen Medien groß. Die Produktion kommt kaum nach. Nehmen „Lifestyle-User“ kranken Menschen mit Diabetes diese hochwirksamen Medikamente weg?
Dr. Wolf: Ja, das kann man so unterstreichen. Ein Mensch mit Diabetes ist krank und braucht Medikamente wie diese unbedingt. Aber man muss auch betonen, dass wir Lifestyle-Therapeuten Menschen betreuen, die durch ihr Übergewicht ein oft hohes gesundheitliches Risiko tragen. Oftmals entdecke ich beim ärztlichen Check-up, dass die Person bereits einen Diabetes, eine Diabetes-Vorstufe oder ein kardiovaskuläres Problem hat. Durch eine Therapie kann vorgebeugt beziehungsweise frühzeitig in das Krankheitsgeschehen eingegriffen werden. Und auch bei Lipödem-Patientinnen (Anm: leiden an unkontrollierter Fettvermehrung) zeigt die Therapie meiner Beobachtung nach gute Erfolge.
Worauf führen Sie den Erfolg des Medikaments zurück?
Dr. Wolf: Wer zum Arzt geht, weil er abnehmen will, hat eine lange Diät-Laufbahn hinter sich. Die Therapie hilft dabei, das Abnehmen leichter zu machen, verhilft zu größerer Kontinuität und erspart auch den Rebound-Effekt.
Also kein Jo-Jo-Effekt?
Dr. Wolf: Die Therapie dauert etwa ein halbes Jahr und sollte immer mit einer Lifestyle-Umstellung einhergehen. Nach dieser Zeit wissen dann die meisten, wie und wie viel sie essen sollten. Wenn dann auch noch Bewegung in den Alltag integriert ist, kann man bedenkenlos das Medikament absetzen.