Multiple Sklerose wird besser behandelbar

02.03.2010

Rund 8.000 Menschen leiden in Österreich an Multipler Sklerose (MS). Zur Prophylaxe von akuten Schüben - mit einem Wirksamkeitsgrad von rund 30 Prozent - gab es bisher vor allem Beta-Interferon und die Substanz Glatirameracetat zum Injizieren. Aus anderen Gebieten der Medizin bereits bekannte Wirkstoffe könnten aber jetzt zu einer Revolution führen:

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Und zwar Medikamente in Tablettenform mit größerem Effekt, hieß es am Montagabend bei der Wissenschaftlichen Fortbildungswoche der Österreichischen Apothekerkammer (bis 5. März) in Saalfelden.

"Die MS ist die häufigste neurologische Erkrankung des jungen Erwachsenen. Die Krankheit ist mehr oder minder progredient. Sie ist behandelbar, aber nicht heilbar", sagte Wolfgang Kristoferitsch, Vorstand der neurologischen Abteilung am Wiener SMZ-Ost.

Regional unterschiedlich

Auf der Nordhalbkugel der westlichen Hemisphäre ist die Krankheit häufiger. Man vermutete schon ein "Wikinger-Gen", das die Entstehung der chronisch entzündlichen Erkrankung des Zentralnervensystems (Gehirn und Rückenmark) begünstigen könnte. Außerdem könnte die Intensität der Sonneneinstrahlung eine Rolle spielen. In Südeuropa - außer in Sizilien wegen der dort auch von den Normannen abstammenden Bevölkerungsgruppe - ist die Krankheit wesentlich seltener als in den USA oder in Kanada. Virusinfektionen - zum Beispiel mit dem Polyoma-Virus EBV - und Rauchen sind ebenfalls Risikofaktoren. Es gibt auch eine familiäre Häufung.

Schubförmiger Verlauf

Die Charakteristika der Erkrankung bestimmen die Behandlungsstrategien: 85 Prozent der Patienten haben zunächst einen schubförmigen Verlauf. Hier gibt es Therapiemöglichkeiten. Bei der Hälfte dieser Erkrankten geht das Leiden nach 15 Jahren in eine sich ständig verschlechternde Form über. Hier gibt es bisher kaum Hilfe. Der Experte: "Wir sollten verhindern, dass es zu der progredienten Form kommt." Außerdem können sich von Schub zu Schub zunehmend bleibende Behinderungen einstellen.

Seit rund 15 Jahren gibt es mit Beta-Interferon und Glatirameracetat zur regelmäßigen Injektion Mittel, welche die Schubrate um 30 reduzieren können. Seit etwas mehr als drei Jahren steht auch ein monoklonaler Antikörper (Natalizumab) zur Verfügung, der das Einwandern von aktivierten Immunzellen aus dem Blutkreislauf ins Gehirn blockiert (Infusionen). Dadurch können akute MS-Schübe zu 70 Prozent verhindert werden. Allerdings kommt es bei Verwendung dieses Biotech-Arzneimittels mit einer Häufigkeit von 1:1000 zu potenziell lebensbedrohlichen Nebenwirkungen.

Hoffnung auf bessere Therapie

Bereits im Zulassungsverfahren befinden sich jetzt zwei Wirksubstanzen, die der Medizin bzw. der Forschung aus anderen Gebieten bekannt sind, jedoch nun eine Verbesserung in der MS-Therapie bringen sollen: Das ehemals als Mittel zur Verhinderung von Organabstoßung nach Transplantationen entwickelte "Fingolimod" (FTY-720) und das bisher zur Behandlung von Blutkrebs eingesetzte "Cladribine" - allerdings in niedriger Dosierung als bei bösartigen Erkrankungen. Beide Medikamente gibt es Tablettenform, FTY-720 wird täglich eingenommen, bei Cladribine dürfte ein kurzer Behandlungszyklus im Abstand von Monaten ausreichen.

Anfang Februar sind zu beiden Arzneimitteln groß angelegte wissenschaftliche Studien mit Placebo-Gruppen oder dem Vergleich mit bisher verwendetem Beta-Interferon bei Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose im "New England Journal of Medicine" erschienen.

Cladribine

Die Daten zu Cladribine, das Immunzellen angreift, welche im Gehirn zur Entzündung führen können, im Vergleich zu einem Scheinmedikament: Bei den wirklich Behandelten kam es zu einer Verringerung der durchschnittlichen Jahresrate von akuten Schüben von 0,33 auf weniger als die Hälfte und zu einer Freiheit von Rückfällen bei knapp 80 Prozent der Patienten. 61 Prozent der Probanden aus der Placebo-Gruppe hatten allerdings ebenfalls keine Schübe. Die Ergebnisse waren hoch signifikant.

Fingolimod

"Fingolimod" (FTY-720) sollte zu einem völlig neuen Behandlungsprinzip zur Beherrschung der Organabstoßung nach Transplantationen werden. Der Wirkstoff bringt Immunzellen im Blut dazu, ihre Aktivität einzustellen und sich wieder in die Lymphknoten zurückzuziehen bzw. diese von Anfang an gar nicht zu verlassen. Dadurch können sie auch nicht ins Gehirn einwandern.

Auch diese Substanz ist offenbar hoch wirksam: In einer Untersuchung bekamen 1.292 MS-Patienten entweder pro Tag 1,25 oder 0,5 Milligramm "Fingolimod" in Tablettenform oder pro Woche 30 Mikrogramm Beta-Interferon. Im Vergleich zu Beta-Interferon reduzierte sich die Schubrate um mehr als ein Drittel bis etwa die Hälfte.

"Fenster der Möglichkeiten"

Am Horizont gibt es aber auch noch andere Entwicklungen: Es scheint so zu sein, als könnte man mit dem monoklonalen Antikörper Alemtuzumab womöglich im frühen Stadium akute Schübe langfristig zu einem hohen Prozentsatz unterdrücken. Der Wiener Neurologe Wolfgang Kristoferitsch: "Damit könnte man vielleicht am Beginn der Erkrankung ein 'Fenster der Möglichkeiten' nutzen", bevor die MS wirklich chronisch progredient wird.

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