Ein Forschungsteam der MedUni Wien hat ein neues Verfahren entwickelt, das mithilfe von maschinellem Lernen und Multiomics-Daten eine präzisere Einschätzung von Prostatakrebs ermöglicht. Hochrisikopatienten können so besser identifiziert und unnötige Operationen vermieden werden.
Ob eine operative Entfernung der Prostata zur Behandlung von Prostatakrebs indiziert ist, wird derzeit anhand von Werten entschieden, die durch die Analyse von Gewebeproben gewonnen werden (Gleason-Score). Weil diese Methode invasiv und oft wenig verlässlich ist, suchen Wissenschafter:innen weltweit nach schonenden und präziseren Alternativen. Ein Forschungsteam der MedUni Wien hat nun ein neues Verfahren entwickelt, mit dem jene Patienten identifiziert werden können, für die eine chirurgische Therapie tatsächlich die beste Option darstellt. Unnötige Eingriffe bei Patienten mit geringerem Risiko für eine Ausbreitung des Tumors können so vermieden werden. Die Studie wurde kürzlich im Fachjournal „Theranostics“ publiziert.
Das Forschungsteam verfolgte im Rahmen der Studie das Ziel, ein neues maschinelles Lernmodell zur präziseren Beurteilung des Tumors zu entwickeln. „Dazu haben wir die Multiomics-Technologie mit Anwendungen der künstlichen Intelligenz kombiniert“, betont Studienleiter Lukas Kenner den bisher einzigartigen Ansatz. Multiomics ist eine Methode in der medizinischen Forschung, bei der verschiedene „Omics“-Datenquellen wie genetische Informationen (Genomics), bildgebende Merkmale (Radiomics) und Ergebnisse aus pathologischen Untersuchungen (Pathomics) integriert werden. Diese in ein KI-Modell eingespeiste Vielzahl an Daten stammt von 146 Patienten, die sich zwischen Mai 2014 und April 2020 einer operativen Entfernung der Prostata (radikale Prostatektomie) unterzogen haben.
Hochrisikopatienten erkennen
Durch die Kombination von Multiomics mit maschinellem Lernen ist ein KI-Modell entstanden, von dem sich die Forscher:innen viel versprechen: „In unserer Studie konnten wir damit die Veränderungen in der Prostata wesentlich genauer und zuverlässiger einschätzen als mit der herkömmlichen Biopsiemethode und dem Gleason-Score“, berichtet Lukas Kenner. So lassen sich Hochrisikopatienten, die von einer radikalen Prostatektomie profitieren, wesentlich besser identifizieren und unnötige Eingriffe bei Patienten mit geringem Risiko für eine Tumorausbreitung vermeiden.
Die radikale Prostatektomie ist eine wichtige Säule der Prostatakrebstherapie, führt allerdings bei rund 30 Prozent der Patienten zu Harninkontinenz und bei etwa 90 Prozent zu Erektionsstörungen. Ob der Eingriff indiziert ist, wird auf Basis des Gleason-Scores entschieden, ein System zur Beurteilung der Aggressivität von Prostatakrebs. Die Bestimmung dieses Wertes erfolgt in der Regel durch die Analyse kleiner Gewebeproben, die durch eine Biopsie entnommen werden. Der Vergleich dieser Werte mit den Ergebnissen einer vollständigen Gewebeuntersuchung nach Entfernung der Prostata weisen jedoch häufig Diskrepanzen auf. „Die Ergebnisse unserer Studie unterstreichen das Potenzial von maschinellem Lernen und Multiomics, die Diagnose und personalisierte Therapie von Prostatakrebs zu verbessern“, sagt Lukas Kenner. Weitere Studien zur Überprüfung der Methode sind geplant, um die klinische Anwendung voranzutreiben.