Suchterkrankungen sind behandelbar, im Vergleich zu anderen chronischen Krankheiten mit einem nicht wesentlich schlechteren oder besseren Ergebnis. Erfolg muss nicht lebenslange Abstinenz sein. Viel mehr sollte versucht werden, dem Patienten möglichst viel an eigener Kontrollfähigkeit und Autonomie zurückzugeben, hieß es am Freitag beim Suchtkongress des Anton-Proksch-Instituts in Wien.
"Ich würde den Menschen als Wesen sehen, das ständig um Autonomie, Erhaltung und Wiedererlangung der Kontrollfähigkeit kämpft. Sucht ist oft ein Abwehrkampf gegen eine als unerträglich empfundene Realität", sagte der Grazer Psychiater Martin Kurz. Idealisierte Ziele wie lebenslange Abstinenz seien eher Projektionen von Ängsten aufseiten von Patienten und Therapeuten. Alte Konzepte wie "Suchterkrankung ist linear", "Früher Tod ist unausweichlich" oder "Alles oder Nichts" oder gar die Erschwerung der Möglichkeiten zur Opiatsubstitution seien eindeutig kontraproduktiv.
Noch dazu kann sich die Suchtmedizin bei weitem nicht alles, was beispielsweise alkoholabhängige Patienten selbst zustande bringen, als "Feder" an den eigenen Hut stecken. Kurz: "In einem Monatsquerschnitt trinken 50 Prozent der Alkoholabhängigen nichts. Innerhalb von ein bis zwei Jahren sind sie durchschnittlich vier Monate total 'trocken'. Die Mehrheit der abstinenten Alkoholiker (53 Prozent, Anm.) erreichen dieses Ziel ohne professionelle Hilfe."
Wenn ein Drittel von Behandelten nach einer zunächst stationären Therapie Alkohol-abstinent bliebe, sei das auch oft auf die Auswahl der Patienten mit den besten Aussichten zurück zu führen. Der Experte: "Den Akademiker mit Familie und einer Zielvorstellung von 7.000 Euro Nettomonatsgehalt bekommen wir zu 90 Prozent abstinent." Das wäre eben nicht die Regel.
Neue Labortests - auch wenn dahinter immer auch ein wenig der angloamerikanische Schuld-Sühne-Überwachungskomplex hervor lugt - können eventuell Abhängige mit einem hohen Rückfallspotenzial besser identifizieren helfen. Der Alkohol-Abbaustoff Ethyl Glucuronide (EtG) im Harn erlaubt die Feststellung sonst nicht nachweisbaren Alkoholkonsums in vorangegangenen Tagen. Im Haar lässt sich sogar eine kumulative Messung der Alkoholmenge über rund drei Monate vornehmen. Und ein hoher Spiegel an dem in Fettzellen produzierten Hormon Resistin scheint bei Alkoholikern auf eine höhere Gefährdung für Rückfälle hinzuweisen, betonte der Salzburger Wissenschafter Friedrich Wurst. Doch Kontrollen etc. ändern nichts am Leid der Betroffenen.