Warten auf die Telemedizin in Österreich
15.10.2009"Technik vorhanden. Breite Umsetzung fehlt, weil rechtliche und finanzielle Fragen noch nicht geklärt sind." - Unter dieses Motto ließen sich die Aussagen von österreichischen Experten Mittwochnachmittag bei einem Fachseminar in Wien stellen.
An vorderster Front: Die Kardiologie, in der noch immer viele Tausend Herzschrittmacher-Patienten zu Routinekontrollen in Spitalsambulanzen müssen, bei denen dann festgestellt wird, dass alles in Ordnung ist. "Die Telemedizin ist nicht geeignet für akut lebensbedrohliche Zustandsbilder, aber ideal für Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz. Ehemals starben 50 Prozent dieser Patienten innerhalb von sechs Monaten. Die moderne Therapie benötigt eine hohe Adhärenz (die Kranken müssen ihre Medikamente ständig und regelmäßig einnehmen, Anm.). Der Gesamtpool dieser Patienten wird größer, nur wenige sterben heute 'weg'. Die Ressourcen im stationären Bereich werden aber nicht mehr", sagte Kardiologe Michael Gruska, der für die Österreichische Kardiologische Gesellschaft zum Thema Telemedizin ein Positionspapier erstellt hat.
Pro Jahr bekommen in Österreich derzeit rund 1.100 Patienten implantierbare Defibrillatoren und sogenannte Cardioverter gegen Herzrhythmusstörungen. Viele Tausend haben Schrittmacher. In regelmäßigen Abständen - zum Beispiel alle sechs Monate - wird derzeit die Funktion der Geräte in einer Spitalsambulanz überprüft. Dabei ließen sich die von den Geräten aufgenommen Funktionsdaten schon seit einiger Zeit einfach per GSM-Handy-Systeme - auch täglich - an diese Zentren verschicken. Die wenigsten Patienten müssten routinemäßig ins Krankenhaus. Bei Funktionsstörungen oder Anhaltspunkten für eine Verschlechterung des Zustands der Patienten schlagen die Geräte Alarm.
Herwig Schmidinger, der ein solches System an der Medizinischen Universitätsklinik II am Wiener AKH etabliert hat, bei dem vom Medizintechnik-Unternehmen "Biotronik" organisierten Seminar: "Die Zahl der Nachsorgeuntersuchungen verdoppelt sich alle zwei Jahre. Mit Telemedizin könnte man mehr als die Hälfte der Nachuntersuchungen auslassen." Eine Analyse von rund 10.000 Patientenkontakten hätte ergeben, dass zwischen 1990 und 2003 nur bei 23 Prozent der Nachuntersuchungen wirklich Interventionen notwendig waren. Per Telemedizin hätte man eine Einsparung von einer Million Euro lukrieren können.
Das Faktum, dass eine tägliche Übermittlung der Patientendaten - bei Herzinsuffizienz-Patienten kann das beispielsweise ein Mix aus Schrittmacher-Informationen, gewogenem Körpergewicht, Blutdruckdaten und subjektiver Befindlichkeitseinschätzung des Patienten sein - die Qualität der medizinischen Versorgung verbessern kann, gibt es kaum Zweifel.
Günter Schreier, der im Rahmen des Austrian Institute of Technology in Graz solche Systeme entwickelt, zitierte aus einer Studie, die unter Federführung des Grazer Kardiologen Friedrich Fruhwald ablief: In einem Vergleich von je 54 Herzinsuffizienz-Patienten mit Standardversorgung oder zusätzlich Telemonitoring gab es in der Telemonitoring-Gruppe nur bei 15 Prozent neuerliche Spitalsaufnahmen und keinen Todesfall, in der anderen Gruppe hingegen bei 33 Prozent Spitalsaufnahmen bzw. einen Todesfall. Bei 56 Prozent der Kranken mit Telemedizin-Versorgung verbesserte sich der Zustand von Stadium III auf Stadium II. In dieser Gruppe wurden 52 Spitalstage registriert, in der Standard-Gruppe hingegen 180. Fazit: Die Telemedizin in der Kardiologie ist keine "Technik-Freak"-Angelegenheit mehr, sie entwickelt sich zum nächsten Therapiestandard.
Hier ist die Frage, ob Österreich da mitmachen und den Patienten eine Versorgung nach dem Stand der Technik bieten wird - auch außerhalb der Krankenhäuser. Laut dem Grazer Rechtsanwalt Peter Buchbauer wäre eine Verankerung im Ärztegesetz wichtig. Bisher heißt es dort nämlich, dass der Arzt seine Tätigkeit am Patienten "persönlich und unmittelbar, allenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Ärzten auszuüben hat". Obwohl Juristen im Gesundheitsministerium hier beruhigt hätten, dass damit nicht in allen Fällen direkter Kontakt zu verstehen sei, meinte der Jurist: "Ich halte es für sinnvoll, wenn man festlegt, dass der Arzt seine Berufsausübung auch im Wege der Telemedizin durchführen kann." Das würde die rechtliche Situation klären.
Die nächsten Fragen sind die möglicherweise Datenschutz und Finanzierung: Spitäler können ein Interesse an weniger Ambulanzbesuchen haben, Telemedizin sollte aber laut den Experten auch in die niedergelassene Praxis (finanziert durch die Krankenkassen) kommen. Die deutsche Angestelltenkasse (DAK) investiert bereits in Telemedizin.
Der Hamburger Ökonom Roland Dieckmann: "Wir haben einen Kardiologie-Telemedizin-Vertrag mit der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf geschlossen. Die Versorgung von Patienten - speziell in ländlichen Gebieten - ist mit hohen Transportkosten verbunden. Es kommt zu weniger Kontrolluntersuchungen und Krankenhausaufnahmen - und somit zu Einsparungen. Wir versorgen die Patienten mit den modernsten Aggregaten (Schrittmacher, Anm.) und haben auch einen Vertrag über die ambulante Implantierung der Geräte. Wir können in de Tat mehr Qualität und eine Effizienzsteigerung erreichen. Es kommt zu schnelleren Diagnosen und einer schnelleren Einleitung der Behandlung. Wir haben das Problem, dass wir in Deutschland in einem Wettbewerb der Krankenkassen stehen. Wir werden bereits imitiert ..."