Farben zum Wohlfühlen nutzen
25.02.2010Wer hat sich nicht schon mal schwarzgeärgert oder vor lauter Verliebtsein die Welt durch eine rosarote Brille gesehen? Farben nehmen in unserem Sprachgebrauch einen breiten Raum ein - sie beschreiben Gemütslagen. Und sie sind damit oft ein Spiegel der Seele. Umgekehrt lassen sich Farben auch dazu nutzen, um bestimmte Stimmungen zu erzeugen.
So kann fast jeder Mensch Farbtöne oder Schattierungen nennen, die ihm mehr oder weniger zusagen. Psychologen sprechen von "visualisierten Gefühlen". "Farben sind Reizerscheinungen des Nervensystems", erläutert Prof. Harald Braem vom Bundesverband Deutscher Psychologen. Er vergleicht die Wirkung mit Wellenfrequenzen wie bei einem Radiosender, die in unterschiedliche Bereiche des Gehirns gelangen und von dort Einfluss auf das Nervensystem ausüben. Die Signalfarbe Rot etwa springe sofort ins Auge. Sie erinnere an Blut oder Feuer und werde daher gern für Warnzeichen verwendet. "Rot löst stressähnliche Gefühle aus", erläutert Braem, der früher als Creative Director internationale Werbekampagnen verantwortet hat und heute das Institut für Farbpsychologie in Rheinland-Pfalz leitet. "Das ist universell gültig, das funktioniert überall auf der Welt."
Schon Goethe teilte in seiner "Farbenlehre" den einzelnen Farben bestimmte Eigenschaften zu. Die hellen, warmen, aktiven Farben Gelb und Orange seien nach heutiger Terminologie als stimulierend, extensiv und expansiv zu bezeichnen, erläutert die in München tätige Heilpraktikerin Ingrid Kraaz von Rohr. Violett und Blau lösten dagegen eine ruhige, weiche, eher introvertierte Empfindung aus. Rot stehe zwischen beiden Bereichen und könne, je nach Färbung, dem einen oder anderen angehören. Grün sei die ausgleichende, ruhende Mitte aller Farben.
"Farben gehören zum Leben dazu", ergänzt der Autor Wulfing von Rohr. Sie seien Ausdruck von Lebensfreude. "Wer meint, er müsse nur in Schwarz herumlaufen, will sich schützen und nichts von sich zeigen." Und so wie Licht per se wichtig sei für das physische und psychische Wohlbefinden, werde die Stimmung froher und positiver, je heller eine Farbe ist. Das erkläre auch, warum sich viele Menschen in der dunklen Jahreszeit antriebslos und niedergeschlagen fühlen.
In die Sonne zu reisen oder auf die Sonnenbank zu gehen, sind zwei Gegenmittel gegen den Winter-Blues. Eine weniger aufwendige Empfehlung gibt Harald Braem: "Setzen Sie eine Brille mit orange-gelben Gläsern auf. Sie wirken als Restlichtverstärker und erhellen die Umgebung." Wer geistige Arbeit leisten will, sollte am besten gleich eine ganze Wand in "Spinellorange" streichen - dieser Farbton beschwinge.
In einem blauen Raum gerät der Körper dagegen leicht ins Frösteln - und der Mensch friert dann auch emotional. Grundsätzlich wirke die Farbe aber beruhigend, sagt Braem. Diesen Effekt nutzten anthroposophisch orientierte Therapeuten daher zum Beispiel, um Patienten mit nervösen Störungen zu besänftigen. Manche Heilpraktiker setzen Blaulichtbestrahlungen auch als Zusatzanwendung bei Neurodermitis ein. Das Blau soll durch seine kühlende Wirkung den Juckreiz bei der Hauterkrankung lindern.
Rot regt dagegen meist an: Eine komplett rote Raumausstattung in einigen psychiatrischen Kliniken helfe, stark selbstmordgefährdete depressive Melancholiker "umzustimmen", erläutert Braem. In der eigenen Wohnung sollte Rot aber grundsätzlich vorsichtig dosiert werden, rät Ingrid Kraaz von Rohr. Als Farbtupfer lasse es sich zum Beispiel im Schlafzimmer gut einsetzen: Dort könne es sexuell stimulierend wirken. Abzuraten sei davon allerdings bei Schlafstörungen, leichter Erregbarkeit oder Neigung zu Hyperaktivität. Im Büro könnten einige Tupfer Rot leistungssteigernd wirken.
Auf diese Weise schreiben Farbpsychologen und Heilpraktiker jeder Farbe bestimmte Effekte zu. Schulmediziner sehen das etwas kritischer: "Farbtherapien sind sicherlich keine Methoden, die wissenschaftlich beziehungsweise evidenzbasiert brauchbar sind", sagt Prof. Frank Schneider von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde in Berlin. "Allerdings wissen wir, dass einzelne Menschen sehr empfänglich für die Ausgestaltung ihrer eigenen Umwelt sind und sich damit auch in bestimmten Farbräumen zu bestimmten Zeitpunkten wohler fühlen." Mehr Effekte gibt es seiner Einschätzung nach nicht.