Wann Dehnen sinnvoll ist

02.09.2009

Für viele Sportler gehört Dehnen vor und nach dem Training einfach dazu. Sportwissenschaftler halten es inzwischen aber nicht mehr für eine Allzweckwaffe. Gegen Muskelkater helfe Dehnen nicht, und es schütze auch nicht vor Verletzungen, sagt Prof. Jürgen Freiwald aus Wuppertal. Bei bestimmten Sportarten ist es dagegen notwendig und trägt in vielen Situationen auch zur Entspannung bei.

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   Wann und wie Dehnen sinnvoll ist, hängt von der Sportart und den eigenen Zielen ab. Es kann zum Beispiel die Beweglichkeit verbessern. Das ist etwa für Turner wichtig, damit sie gut in den Spagat kommen, erläutert Dominik Straub von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) in Saarbrücken. Für Ballett, Akrobatik und bestimmte Kampfsporttechniken empfiehlt es sich zum Aufwärmen ebenfalls. Außerdem lasse sich mit Dehnen "Alltagsfähigkeit" nach einer Verletzung zurückgewinnen. "Die Elastizität der gelenkumgebenden Strukturen verbessert sich dadurch", erklärt der Trainingswissenschaftler.

   Auch wer unter Stress steht, kann vom Dehnen profitieren. Denn Gestresste haben häufig eine starke Muskelspannung, die sich dann abbauen lässt. "Der Entspannungszustand von verspannter Muskulatur wird erhöht", bestätigt Elfi Datzer von der Deutschen Sporthochschule (DSHS) Köln. Die Fitnessspezialistin weist damit auf einen weiteren Effekt des Dehnens hin: Man fühlt sich danach wohler. Dehnen dient in diesem Sinne nach dem Training auch dem "Runterkommen".

   Nicht umsonst bestehen klassische Entspannungsmethoden wie Yoga, Feldenkrais oder progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen zu einem guten Teil aus Dehnübungen, ergänzt Freiwald, der den Arbeitsbereich Bewegungswissenschaft an der Universität Wuppertal leitet. "Man kann sich durch das Dehnen offensichtlich gut auf sich selbst konzentrieren." Und das trage dann zur Entspannung bei. "Ich kann jeden Muskel jederzeit dehnen, solange es mir gut tut", lautet Datzers Devise. Der entspannte Muskel werde bei nur milder Belastung in die Länge gezogen.

Vorsicht vor Überdehnung

   Doch das kann auch negative Seiten haben: "Dehnen kann das Gewebe zu elastisch machen", warnt Straub. Das kann sich zum Beispiel beim Krafttraining negativ auswirken. Denn das Dehnen selbst sei auch ein Kraftreiz und für die Erholung der Muskeln zwischen den Trainingssätzen ungeeignet, fügt Freiwald hinzu. Die durch das Kraftraining übersäuerte Muskulatur brauche zum Erholen frisches Blut - lange, gehaltene Dehnungen schränkten aber die Durchblutung ein. Und auch wer überbeweglich ist, sollte das Dehnen eher lassen. "Überbewegliche Sportler werden noch beweglicher und damit anfälliger für Verletzungen", erklärt der Forscher.

   Unterschieden wird grundsätzlich zwischen zwei Arten: dem statischen und dem dynamischen Dehntraining. Bei der statischen Variante handelt es laut Straub um das klassische Stretching: "Dabei hält man die Dehnposition längere Zeit." Das sehe die Wissenschaft mittlerweile eher kritisch. Beim dynamischen Dehnen gilt dagegen: kurz halten, Position verlassen, wieder halten - und das mehrmals hintereinander. Schmerzen darf es nicht.

   Wichtig ist, dass die Dehnübungen richtig erlernt werden. Verschiedene Muskelgruppen lassen sich trainieren, bei einer verkürzten Beinmuskulatur zum Beispiel die Achillessehne. Dazu stellt der Sportler einen Fuß ganz auf eine Treppenstufe und hält sich am Geländer oder an der Wand gut fest. Den anderen Fuß setzt er mit den Zehen auf die Kante, drückt die Ferse in Richtung Boden und beugt das Standbein, auf dem das Gewicht liegt. "Dabei sollte man aber sehr vorsichtig sein", sagt Datzer.

   Ist der Schulterbereich verspannt, eignet sich eine Übung, um die seitliche Nackenmuskulatur zu dehnen. Die Füße stehen laut DHfPG etwa schulterbreit auseinander, der Stand ist stabil und aufrecht, die Rumpfmuskulatur gespannt. Die Knie werden leicht angewinkelt, das Becken fixiert, der Rücken ist gerade und der Kopf in Verlängerung der Wirbelsäule. Dann neigt man den Kopf zu Seite, der Blick bleibt nach vorn gerichtet. Die Schulter, von der der Kopf weggeneigt ist, wird aktiv nach unten gezogen.

   Datzer rät, sich bei jedem Dehnen "genüsslich" in die maximale Streckung hineinzuziehen - "so, wie sich eine Katze nach dem Schlafen streckt und reckt". Nach dem Joggen hält sie es für sinnvoll, die Muskulatur rund um Beine und Hüftgelenk zu dehnen. Für die Wirbelsäule empfiehlt sie zusätzlich Streckübungen. Freiwald ist bei dem Thema mit Blick auf Freizeitsportler grundsätzlich großzügiger: "Sie brauchen sich nicht dehnen - aber wenn sie das Gefühl haben, es tut gut, dann sollten sie es ruhig machen."

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