Die Welt ist um eine kraftlose "Carmen" reicher. Was das Publikum der Salzburger Osterfestspiele
gestern, Samstag, Abend nicht bejubelte, sondern bloß artig beklatschte, war ein buntes, aktionsreiches Spektakel mit vielen Tanzeinlagen und massenweise Personal auf der Bühne.
Viel Tamtam, wenig dahinter Das eigentliche Drama rund um die mitreißendste Frauenfigur der Operngeschichte wurde aber kaum erzählt. Regisseurin Aletta Collins und Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker und künstlerischer Leiter der Osterfestspiele, brachten Georges Bizets Oper mit viel Aufwand und zum Teil wirkungsvollen Effekten ins Große Festspielhaus. Nur Carmen war keine zu erleben.
Kozena ungeeignet Dieser künstlerische Misserfolg hat einen Vater und zwei Mütter: Die eine heißt Magdalena Kozena. Diese unbestritten großartige Sängerin ist als Typ für diese Rolle definitiv nicht geeignet. Die wild-verführerische Draufgängerin, die Männer ängstigende und zugleich magisch anziehende, ungezähmte Zigeunerin ist nicht Kozenas Ding. Da half auch kein Röcke-Heben, Herumknutschen und kein laszives Tanzen.
Sängerisch gab Kozena keine schlechte Carmen. Ihr Piano ist fantastisch, und die Höhe ihres Mezzos strahlt. Aber die satte und raue, fast dreckige Tiefe fehlt ihrer Carmen stimmlich ebenso wie darstellerisch. Der Applaus für sie am Ende war deutlich geringer, fast peinlich gering, als für die beiden anderen Hauptdarsteller.
Unentschlossenes Regiekonzept Die zweite Mutter heißt Aletta Collins. Die Regisseurin und Choreographin setzte auf große Geste und kontrastierte Bizets keinesfalls bombastische, sondern eher klein konzeptionierte Oper mit Masse. Zudem konnte sich Collins nicht zwischen moderner und traditioneller Inszenierung entscheiden. Also ein bisschen was von beidem. Diese Carmen spielt zu keiner Zeit und zugleich immer, die Kostüme (Gabrielle Dalton) sind ein Stilmix, und das Bühnenbild (Miriam Buether) pendelt von einem U-Bahnschacht zur Stierkampfarena. Auf dem eisernen Vorhang thront ein E-Gitarrist, Menschen mit Riesenköpfen aus Papp-Mache tauchen auf, andere turnen aus der Decke die Luster herunter. Manche dieser Regieeinfälle wirken, andere bleiben isoliert und sind nicht einzuordnen. Das Spektakel ersetzt die Geschichte.
Kritik an Philharmonikern Musikalisch hat Simon Rattle die Berliner Philharmoniker richtigerweise kurz gehalten. Im Gegensatz zur "Salome" im Vorjahr und zu sämtlichen "Ring"-Teilen die Jahre davor waren diesmal alle Sänger immer gut zu hören - immerhin, "Carmen" Kozena ist die Ehefrau des Dirigenten. Rattles Tempi waren gut, aber die Abstimmung zwischen dem komplexen Bühnengeschehen und dem Orchestergraben war immer wieder störend ungenau. Da wird von "Weltklasse-Orchester" und "allerhöchster Qualität" geredet, während Solisten, Chöre und Orchester taktelang rhythmisch nicht zusammen sind. Das Ganze wirkte eindeutig nicht fertig geprobt. Trotz des guten Klangs und vielen groß klingenden Momenten: Den Berliner Philharmonikern als "Opern-Orchester" braucht Salzburg nicht nachzutrauern.
Ein Festival, das mit herausragender Opernqualität wirbt, darf Oper so nicht präsentieren. Also Schwamm über diese "Carmen". Nach 46 Jahren Oper mit den Berliner Philharmonikern freut sich Salzburg auf Thielemann und das echte Opernorchester aus Dresden.
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