Wortlos

Das stille Leiden von Menschen mit Emotionalem Sprachblockaden Syndrom

25.10.2022

Piotr Sajbor litt 15 Jahre unter ESBS – wie sehr sich sein Leben gewandelt hat, erzählt er, wohlangemerkt ohne Sprachblockade, in einem Interview.  

Zur Vollversion des Artikels
© Piotr
Zur Vollversion des Artikels

Stottern und Sprachblockaden waren seit dem Kindergarten seine ständigen Begleiter. In diesem Alter merkt man noch kaum, dass sich das Sprechen stark von den anderen Kindern unterscheidet. Doch je älter Piotr wurde, desto schwieriger war es damit zurechtzukommen.

Zu einem Problem entwickelte sich das Stottern erst in seinen Jugendjahren, als er erstmals vor der Klasse vortragen musste oder in der neuen Schule Freunde finden wollte. „Am schlimmsten war es, wenn meine Lehrerin eine Frage gestellt hat und ich die Antwort zwar wusste, aufgrund meines Schamgefühls aber nicht antworten wollte.“ erzählt Piotr nun stotterfrei. „Ich weiß es nicht, ging leichter von den Lippen als die korrekte Antwort.“

Die Angst, sich vor seinen Klassenkameraden zu blamieren und sich lächerlich zu machen, war sein ständiger Begleiter in der Schulzeit. Folglich zog er sich emotional immer mehr zurück und sprach nur mehr mit seinem besten Freund und seiner Familie. Aber nicht nur in der Schule, sondern auch im Alltag hatte Piotr mit Problemen zu kämpfen, die Außenstehenden nicht immer nachvollziehen konnten.

Ein Mensch, der unter ESBS leidet, hat bestimmte Worte bei denen die Aussprache besonders schwer fällt. Für Piotr war das unter anderem die Zahl 5. So waren zum Beispiel der Weg zum Bäcker oder in ein Café von Schwierigkeiten geprägt, die für stotternde Menschen alltäglich sind. „Ich wusste, dass ich bei dem Wort fünf eine Sprachblockade hatte – deswegen habe ich vier oder sechs Semmeln bestellt oder die Anzahl mit meinen Fingern gezeigt. Alles, damit ich das Wort nicht aussprechen musste“.

Über die Jahre hinweg versuchte Piotr es mit den verschiedensten Therapien. Angefangen bei Logopädie über verschiedenste Sprachtherapien bis hin zu Akupunktur, ließ er nichts unversucht. Doch leider erfolglos.

Bis er auf skurrile Weise von newspeech erfuhr. Seine Tante erzählte ihm von einer Teilnehmerin bei Polen‘s Next Topmodel, die auch in der Vergangenheit unter Sprachblockaden und Stottern litt. Sie schwärmte von dieser Sprachschule und war stolz, dass sie dank dieser die Bürde ablegen konnte.

© Piotr
   

Die Vorgehensweise der Schule scheint auf den ersten Blick etwas eigenwillig. So war Piotrs erste Hausaufgabe fünf Tage lang zu schweigen - also mit niemanden ein Wort zu wechseln, nicht einmal mit sich selbst. Dadurch sollte die Angst überwunden werden und das Stottern aus dem Kopf verschwinden. Schon diese erste Übung zeigte Wirkung und ermöglichte ihm langsam aber flüssiger zu sprechen.

Die Sprachschule kann nicht mit einem Schulfach verglichen werden, da der Lernprozess nie abgeschlossen ist. Menschen mit ESBS müssen ihr ganzes Leben lang trainieren. Piotr schloss den Sprachkurs schnell ab, die Dauer des Kurses ist aber abhängig von dem jeweiligen Teilnehmer. Seinem Ehrgeiz und dem regelmäßigem Training auch außerhalb der Schule hat Piotr seine raschen Erfolge zu verdanken.

Die Möglichkeit nach dem Weg zu fragen oder sich selbst telefonisch einen Arzttermin auszumachen waren Meilensteine in seinem Leben. Bis zu seinem 22. Lebensjahr war er auf seine Mutter angewiesen solche Termine auszumachen, da er Problem mit dem Sprechen hatte. Seit drei Jahren ist er nun stotterfrei und frei von ESBS.

Er freut sich jeden Tag aufs Neue dieses Problem aus seinem Leben geschafft zu haben. Am meisten freut er sich jedoch über seine größten Erfolge: im Radio und Fernsehen seine Erfolgsgeschichte erzählt zu haben und so andere Betroffene zu motivieren.

In Polen hat Piotr schon selbst Vorträge über ESBS vor Studierenden der Logopädie und Psychologie gehalten, damit es in der modernen Forschung endlich thematisiert wird. Denn Stottern ist nicht gleich Stottern, sondern ein Symptom der ESBS und den meisten Menschen ein Rätsel.

Heute spricht Piotr laut und deutlich, von Stottern fehlt jede Spur. Sein Erfolgsrezept betitelt er mit Motivation, Disziplin und Selbstkontrolle.

Zur Vollversion des Artikels