70. Filmfestival Venedig
Ein Liebling und zwei US-Indies als Maßstab
02.09.2013
"Philomena", "Joe"und "Night Moves" als erste Wettbewerbsfavoriten.
Die 70. Filmfestspiele in Venedig sind erst fünf Tage alt - und dennoch hat sich zum Ende des ersten langen Wochenendes bereits der eine oder andere Favorit herauskristallisiert. Peter Landesmans "Parkland", das am heutigen Sonntag vorgestellte Panorama der Ereignisse rund um die Ermordung John F. Kennedys, gehört definitiv nicht dazu. Die Tragik der Ereignisse betont Landesman mit übermäßigem Pathos und Effekten, die mehr an eine Krankenhausserie erinnern und dem Drama in kaum einem Moment gerecht werden. Einen deutlich stärkeren Eindruck haben die Filme von Kelly Reichardt, David Gordon Green und Stephen Frears hinterlassen.
Judi Dench verzaubert Lido
Frears ("Die Queen") hat sich mit dem Adoptionsdrama "Philomena" ebenfalls einem tragischen Thema gewidmet, sich selbst aber zurückgenommen. Keine Effekte, stattdessen ein mit Humor unterfüttertes Drehbuch und zwei fabelhafte Darsteller genügen ihm, um die wahre Geschichte einer irischen Frau zu erzählen, die sich 50 Jahre nach der Geburt ihres Sohnes auf dessen Spuren heftet, war er doch von den Nonnen im Kloster einst gegen ihren Willen zur Adoption freigegeben worden. Judi Dench und Steve Coogan bilden ein wunderbares Leinwandpaar in einem klassischen Publikumsliebling, der seine Zuseher zum Lachen und zum Weinen bringt.
Nicolas Cage auf "Goldener Löwen" Jagd
Ebenfalls mit einem starken Schauspieler im Zentrum glänzt "Joe" von US-Regisseur David Gordon Green, der heuer bei der Berlinale bereits den Regiepreis für "Prince Avalanche" erhielt und nun das Beste aus Nicolas Cage herausholt. Cage spielt einen Waldarbeiter in einem südamerikanischen Provinzkaff, in dem langsam die Gewalt überhandnimmt. Ebenfalls in den amerikanischen Wäldern ist "Night Moves" von US-Kollegin Kelly Reichardt angesiedelt, ein stiller Thriller um drei Öko-Aktivisten, die in Oregon einen Damm sprengen wollen. Jesse Eisenberg, Dakota Fanning und Peter Sarsgaard überzeugen in dem fein ausbalancierten, nuancierten Naturdrama.
Jungstars am Wetteifern
So stark der Eindruck ist, den Frears, Green und Reichardt bisher hinterlassen haben, so ambivalent kamen die restlichen Wettbewerbsbeiträge weg: Die Außenseiterstudie "Child of God" von US-Jungstar James Franco ist zwar stets sehr nah an ihrem Protagonisten dran, kommt dem Serienmörder wider Willen damit aber kaum näher. Die streng strukturierte Beziehungsstudie "Die Frau des Polizisten" des Deutschen Philip Gröning behandelt das Thema häusliche Gewalt auf radikale Weise, aber teils auch sehr manieriert. "Tracks" von John Curran hatte außer schönen Bildern recht wenig, "Via Castellana Bandiera" von Emma Dante zeigt das Lähmende auf lähmende Weise.
Japans Altmeister Hayao Miyazaki auch dabei
Mit Spannung war auch "Kaze Tachinu" (The Wind Rises), der neue Film von Japans Altmeister Hayao Miyazaki, erwartet worden, das dem Flugzeugdesigner Jiro Horikoshi ein teils kitschiges, teils berührendes Anime-Denkmal setzt, aber die Fantasie nur manchmal beflügelt. Zum Schweben und Schwärmen brachte viele hingegen der außer Konkurrenz laufende Eröffnungsfilm von Alfonso Cuaron: Der Sci-Fi-Film "Gravity" mit George Clooney und Sandra Bullock hatte die 70. Ausgabe des wohl entspanntesten der großen Filmfestivals würdig eröffnet. Entspannt geht es nun auch in die zweite Festivalwoche, die mit Christoph Waltz in "The Zero Theorem" eröffnet wird.
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