Cannes 2010
Kein Top-Favorit für die Goldene Palme
21.05.2010
Jury-Präsident Tim Burton sagte zu Beginn des Festivals: 'Wir wollen Filme, die uns berühren'.
Cannes stand noch nie in dem Ruf, eine Plattform für massentaugliches Kino zu sein. Schaffte es doch bisher kaum ein prämierter, geschweige denn nominierter Film des Festivals zu einem Millionenpublikum. In diesem Jahr allerdings verlangen viele der 19 Wettbewerbsfilme dem Zuschauer derart viel ab, dass sich manch einer schon Woody Allens ebenso launische wie zynische Komödie "You Will Meet A Tall Dark Stranger" in den Wettbewerb wünschte. So fielen einige Beiträge umgehend wegen Langweile ("My Joy"), Brutalität ("Outrage") oder Banalität ("La Princesse de Montpensier") bei den Kritiken durch. An den meisten scheiden sich die Geister, und nur ganz wenige werden als klare Favoriten gehandelt - wie "Des Hommes et des Dieux" vom Franzosen Xavier Beauvois.
"Des Hommes et des Dieux"
Behutsam und ohne Pathos
erzählt der Regisseur in dem zweistündigen Film von katholischen Mönchen
eines Klosters in Nordafrika, die friedlich mit den muslimischen
Dorfbewohnern zusammen leben. Doch irgendwann erreicht der
fundamentalistische Terror das Kloster, die Mönche sollen das Land
verlassen. Sehr eindringlich zeigt Beauvois die Gewissenskonflikte der
Geistlichen, die ihrem Auftrag Gottes nachkommen und die Dorfbewohner nicht
im Stich lassen wollen und dennoch auch um ihr eigenes Leben fürchten. Er
porträtiert sie als Menschen, die nicht in einem Elfenbeinturm theologischer
Dogmen leben. Zudem greift er in seinem durchaus poetischen Werk, das auf
einer wahren Begebenheit beruht, den hochaktuellen und problematischen
Dialog zwischen Christen und Muslimen auf.
"Poetry"
Poetisch ist auch der Film des Südkoreaners
Lee Chang-dong - und das nicht nur wegen seines Titels "Poetry". Zwar begibt
sich darin die 66-jährige Mija über die Poesie auf die Suche nach der
Schönheit im Leben, wird aber zugleich mit den Grausamkeiten und der von
Männern und Geld beherrschten Welt sowie der eigenen Sprachlosigkeit
schmerzlich konfrontiert. Doch ist es vor allem die langsame, kunstvolle
Erzählweise, die so beeindruckt. Dazu trägt auch die großartige
Hauptdarstellerin Yun Junghee bei, die erstmals seit mehr als 15 Jahren
wieder auf der Leinwand zu sehen ist und bereits als beste Schauspielerin
des Festivals gehandelt wird.
"Another Year"
Ihr könnte die Britin Lesley Manville
als Mary in Mike Leighs "Another Year" Konkurrenz machen. Das Sozialdrama
über ein glückliches Paar kurz vor der Pensionierung und ihren gescheiterten
Freunden, die allein sind, zuviel Alkohol trinken und mit ihrem Leid ganz
unterschiedlich umgehen, mag etwas zu konventionell, wenig ungewöhnlich und
teils zu klischeehaft sein. Trotzdem handelten auch dieses Werk einige als
Favoriten.
"Biutiful"
An "Biutiful" vom Mexikaner Alejandro
Gonzalez Inarritu, der bereits 2006 für "Babel" in Cannes mit dem besten
Preis für die Regie ausgezeichnet war, scheiden sich ebenso die Geister. Es
ist ein Film über Liebe, verpasste Chancen und das Vatersein. Denn der
todkranke Uxbal, eindringlich gespielt von Javier Bardem, der als Kandidat
für den besten Darsteller gilt, versucht kurz vor seinem Tod seinen beiden
Kindern noch ein besseres Leben vorzubereiten, scheitert aber kläglich, da
er sich als Kleinkrimineller mit Herz immer wieder in Geschäfte einlässt,
die schief laufen.
"Chongqing Blues"
Vatersein ist überhaupt das große
Thema des 63. Festivals an der Croisette: In "Chongqing Blues" des Chinesen
Wang Xiashuai begibt sich ein Vater, 14 Jahre nachdem er seine Familie
verlassen hat, auf die Suche nach seinem inzwischen toten Sohn, der - wie er
dann erfährt - immer auf seinen Vater gewartet hat. Wang Xuegi spielt diesen
Vater mit so einer seltsam melancholischen Unberührtheit und doch fühlt und
sieht der Zuschauer den ganzen Schmerz dieses Mannes, der sich nicht nur auf
die Suche nach seinem Sohn, sondern auch nach seinen eigenen verloren
gegangenen Werten macht.
"A Crying Man"
Ebenfalls um die Schuld eines Vaters
geht es im ersten Wettbewerbsbeitrag aus dem Tschad. In "A Crying Man"
erzählt Regisseur Mahamat-Saleh Haroun von einem Mann, der seinen Job als
Pool-Aufseher in einem Hotel an seinen Sohn verliert und den Buben wenig
später in dem vom Bürgerkrieg erschütterten Land an das Militär ausliefert,
um sich selbst zu retten. Den Verrat muss er bitter bezahlen. Politischen
Umbrüchen und ihren Folgen auf das persönliche Leben der Menschen widmet
sich auch Ken Loach in "Route Irish", Söldner in Irak, die teils sinn- und
skrupellos ihre Macht ausspielen. Gewohnt sozialkritisch und auf der Suche
nach der Wahrheit gehört auch Loach zu den Anwärtern auf die Goldene Palme.
"Wir wollen Filme, die uns berühren"
Jury-Präsident
Tim Burton hatte zu Beginn des Festivals die Parole ausgegeben: "Wir wollen
Filme, die uns berühren." Und das ist vielen der 19 Beiträgen gelungen.
Zudem sei ihm und seinen acht Mitstreitern in der Jury das Element der
Überraschung wichtig. Und so wird Burton am Sonntag, 23.5., bei der
Preisverleihung sicher auch für eine Überraschung sorgen, denn dafür war
Cannes schon immer gut.