Erotischer Talk

Jetzt spricht Roche über Film 'Feuchtgebiete'

02.08.2013

"Feuchtgebiete"-Film "ist sexier als das Buch" , so die Autorin des Bestsellers.

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Fünf Jahre ist es her, seitdem Charlotte Roche mit ihrem expliziten, teils autobiographischen Debütroman "Feuchtgebiete" für Furore sorgte. Die einen verfluchten sie als schamlose Skandalautorin, die anderen feierten sie als moderne Feministin, die sich gegen rigiden Hygiene- und Schönheitswahn auflehnt und dort hinsieht, wo es wehtut. So oder so, die sexuellen und körperlichen Ausschweifungen ihrer Protagonistin Helen Memel wollten alle lesen: Alleine in Deutschland verkaufte sich der Roman der in England geborenen Moderatorin mehr als 2,5 Mio. Mal. Im Interview mit der APA zur Verfilmung durch Regisseur David Wnendt (Ö-Start: 23. August), die demnächst in Locarno Premiere feiert, erzählt die 35-jährige Deutsche, warum der Film besser zu verdauen ist als ihr Roman – und so auch ihre Botschaft besser in die Welt tragen wird.

Hier der Trailer zum Film

Hier das ganze Interview mit der Bestseller-Autorin

APA: Der Film beginnt mit einem bild.de-Leserkommentar, wonach Ihr Roman "Feuchtgebiete" nie verfilmt werden sollte. Mussten Sie sich auch erst mit dem Gedanken anfreunden?

Charlotte Roche: Für mich war total klar, dass das geht. Gleich direkt nach der Veröffentlichung meines Buchs habe ich die Rechte verkauft und jahrelang auf den Film gewartet. In dieser Wartezeit haben mir immer wieder Leute gesagt: Das ist doch unverfilmbar! Dann fing ich erst an, darüber nachzudenken. Doch für mich ist das alles sehr bildlich. Nicht, dass man das eins zu eins einfach abfilmt; diesen ganzen Schmerz und all den Eiter anzukucken wäre unerträglich. Die meiste Zeit hätte man ein riesiges, eitriges Poloch auf der Leinwand.

APA: Waren Sie schließlich überrascht, wie der innere Monolog aus dem Buch umgesetzt wurde?

Roche: Ja, positiv überrascht! Ich wusste nur ein bisschen vorher. Um mich psychisch darauf vorzubereiten, wurde mir erzählt, dass Sachen, die im Buch nur mit einzelnen Sätzen angedeutet sind, im Film ausgearbeitet wurden, wie zum Beispiel die Beziehung (von Hauptfigur Helen, Anm.) zu den Eltern oder die Beziehung zwischen den Eltern. Viele Sachen, die bei mir im Buch im Vordergrund sind, wie der körperliche Schmerz, wurden etwas nach hinten gedrängt. Dadurch hat man jetzt auch viel mehr Verständnis für Helen und ihren psychischen Schmerz. Ich habe von Leuten gehört, dass sie durch den Film den Charakter besser verstehen. Was Besseres kann ja gar nicht passieren!

APA: Die Bilder im Kopf der Leser sind vermutlich krasser als jene auf der Leinwand.

Roche: Ich habe diese Erfahrung auch auf einem anderen Gebiet gemacht. Leute hatten sogar Angst, zu meinen Lesungen zu kommen, weil sie das Buch alleine und ganz ernst lesen, sich all die schrecklichen Horrorsachen vorstellen und sich dann schlecht fühlen. Sie finden die ekligen Sachen dann gar nicht lustig, dabei habe ich sie lustig geschrieben. Viele haben es verstanden und über die ekligen Sachen gelacht, aber manche können es kaum aushalten und stellen sich das vor und fliegen fast in Ohnmacht oder müssen sich übergeben. Und wenn ich es so vorlese, wie ich es auch geschrieben habe, ist es unterhaltsam und leichter zu verdauen. Ich glaube, dass das im Film auch so ist. Die, die das Buch ganz alleine gelesen haben, werden sehr erstaunt sein, wie leicht man den Film durch die Hauptdarstellerin, wie sie aussieht und wie sie spielt, ertragen kann.

APA: Schauspielerin Carla Juri spricht stellenweise im Off in Ihrer Tonalität. Haben Sie sich selbst im Film wiedererkannt?

Roche: Ja! Der erste Satz vom Buch ist auch der erste Satz im Film. Sie sagt: "Seit ich denken kann, habe ich Hämorrhoiden" – und ich kucke den Film und denke: "Wann haben die das denn aufgenommen, ich hab doch gar nicht mitgemacht!" Ich dachte, das bin ich selbst! Ich war ganz aufgeregt. Das verliert sich dann, wenn sie ihren inneren Monolog weiterführt.

APA: Waren Sie bei der Suche nach der Hauptdarstellerin bzw. generell bei der Entstehung des Films involviert?

Roche: Nachdem das Buch so ein Erfolg war, haben viele Produzenten angefragt, aber ich wollte mich nicht damit beschäftigen. Damals habe ich "Sommer am Balkon" und "Halbe Treppe" gesehen und festgestellt, dass sie vom selben Produzenten, Peter Rommel, sind. Die Filme sind richtig gute deutsche Filme und das ist sehr selten. Ich habe mich ihm praktisch aufgedrängt und das ist das Einzige, was ich gemacht habe. Ich habe weder das Drehbuch mitgeschrieben noch die Hauptdarstellerin ausgesucht. Ganz ehrlich: Jetzt, wo ich den Film sehe, denke ich, ihm die Rechte zu verkaufen war eine der besten Entscheidungen meines Lebens.

APA: Haben Sie seit dem Rechteverkauf eine gewisse Distanz zu dem Projekt oder plagt Sie, wie auch bei Ihrem Nachfolgeroman "Schoßgebete", ein gewisser Erfolgsdruck?

Roche: Ich habe eine sehr erholsame Distanz auf allen Gebieten. Für mich ist es auch erholsam, dass Helen Memel jetzt ein anderes Gesicht bekommt als meines. Viele haben das ja gelesen und sich mich vorgestellt, das ist einerseits zwar lustig, aber auch belastend. Nun muss Carla Juri dafür herhalten. Ich wünsche ihr, dass sie durch diesen Film ein Superstar wird und dass alle sich in sie verlieben, so wie ich mich in sie verliebt habe.

APA:
Erwarten Sie vorrangig ihre Leser im Kino?

Roche: Ich glaube sogar, dass das schon eine Generation danach ist. Es werden bestimmt Leute in den Film gehen, die das Buch gelesen haben. Aber der Film ist am allergeilsten für Leute, die damals zu jung waren, als mein Buch rauskam, und das Buch vielleicht gar nicht kennen.

APA:
Und vielleicht dabei auch was lernen können.

Roche:
Oh ja, es ist auf jeden Fall eine ganz interessante Gegendarstellung zu dem üblichen Schönheitsideal. Das wirft schon ganz schöne Bomben in Köpfe, wenn man das als junge Frau sieht und sich denkt: "Ah, hier wird Periodenblut ins Gesicht geschmiert, gute Idee!"

APA: Sehen Sie den Film auch als geeigneteres Mittel, Ihre Botschaft gegen Hygiene- und Rasurwahn weiterzutragen?

Roche:
Auf jeden Fall! Auch dadurch, dass nicht so viel auf den Ekel und den Schmerz gesetzt wird. Der Film ist sexier als das Buch: Der ist cool und edgy, der ist einfach viel rock’n’rolliger. Das Buch ist zeitlos, sehr schmerzhaft, die Botschaft ist versteckter und die Leute sind zu sehr abgelenkt von den ekeligen Sachen, während das im Film einfach mehr knallt – wie ein Popsong. Im Film sind die bunten Mädels, das Longboard, diese unglaublich coolen Klamotten. Ich glaube, dass die Botschaft von meinem Buch rüberkommt, aber leichter zu verstehen und anzunehmen ist. Es soll befreiend sein, sodass man sich denkt: Jeder Körper ist anders, man muss keine Komplexe haben, darf sich nicht schämen für tiefmenschliche, körperliche Zustände.

APA:
2008 wurde "Feuchtgebiete" zum Skandalbuch auserkoren. Dem Film scheint nun mehr Neugier als Skepsis entgegenzukommen. Haben wir uns in den fünf Jahren weiterentwickelt?

Roche: Das liegt, glaube ich, an dem Unterschied zwischen Film-und Literaturkritik. Das Buch wurde damals nur von Kritikern zu einer Provokation aufgebauscht; von den Lesern habe ich mich total gut verstanden gefühlt. In Deutschland werden Bücher sehr, sehr ernst genommen und wenn sie ein Buch nicht gut finden, fühlen sie sich persönlich angegriffen. Ein Film ist kurzweiliger. Die Neugier spielt aber bestimmt auch eine Rolle: Die Leute gehen rein, weil sie sich fragen, wie dieses krasse Buch wohl umgesetzt wird. Manche sehen das vielleicht auch als Mutprobe: Wer zuerst kotzt, hat gewonnen. Dabei ist der Film gar nicht so schlimm, wie man ihn sich vorstellt.

APA:
Nehmen Sie den Film universeller als das Buch wahr, ist ihm internationale Aufmerksamkeit gesichert?

Roche: Dadurch, dass der so poppig ist, funktioniert das mit dem Film definitiv besser. Das ist ein geiler, deutscher, hipper Film! Und bald verkaufen wir wie bei "Keinohrtypen" oder wie das heißt die Rechte an Amerika und die drehen dann "Feuchtgebiete" auf amerikanisch nochmal nach mit Robert De Niro als Vater und Julianne Moore als Mutter. Aber dann trotzdem Carla Juri bitte in der Hauptrolle!

APA:
Gut so, da kennt man Spermaflüssigkeit sonst nur aus Teeniefilmen wie "American Pie".

Roche:
Das war etwas, worauf ich bei diesem Film wirklich gehofft habe: Dass mit Sexualität und Körper nicht so umgegangen wird wie in Amerika, wenn sie so megabiedere Sexwitze machen, mit "American Pie" als abschreckendem Beispiel. In "Feuchtgebiete" ist es nie Klischee, es ist immer besonders und nicht so platter Klamauk – zum Glück!

   (Das Gespräch führte Angelika Prawda/APA)

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