Nöstlinger-Verfilmung

"Maikäfer flieg": Nicht nur Kinderfilm

06.08.2015

Ursula Strauß steht für Verfilmung von Nöstlinger-Klassiker vor der Kamera.

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© Getty Images
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Es sieht tatsächlich nach zerbombtem Wien aus: Im Hinterhof des Firmensitzes von Julius Meinl in Wien-Ottakring türmt sich der Schutt vor bröckelnden Mauerresten, ein Pferdewagen mit zerlumpten Passagieren trottet durch die sengende Hitze. Es sind die letzten Drehtage für Mirjam Ungers Verfilmung des Nöstlinger-Klassikers "Maikäfer flieg!". Der Spaß am Dreh wird vom ernsten Inhalt getrübt.

Buch-Verfilmung
Seit dem 22. Juni laufen die Dreharbeiten zu dem Film (Kranzelbinder Gabriele Production), der im Herbst 2016 in die Kinos kommen soll. In diesen letzten Tagen stehen nun Wiener Schauplätze rund um Hernals, wo die Familie in Nöstlingers autobiografischem Roman wohnte, im Zentrum. Die Szenen in der Villa, wo sich die Familie nach Zerstörung der elterlichen Wohnung versteckt, hat man hingegen in Südtirol statt in Neuwaldegg gedreht.

Abgekämpft und mit Sonnenbrand auf den ungeschminkten Wangen erscheint Ursula Strauss zum Interview mit den Journalisten. In den mit einem Tuch zusammengebundenen Haaren klebt Staub, der Schweiß perlt. Die österreichische Schauspielerin gibt die Mutter der jungen Ich-Erzählerin Christine (Zita Gaier), die von den Kriegs- und Nachkriegswirren rund um das Jahr 1945 erzählt. Dabei hatte die passionierte Nöstlinger-Leserin Strauss den Klassiker gar nicht gekannt. "Ich habe Nöstlinger rauf und runtergelesen, aber das Buch ist irgendwie an mir vorübergegangen", so die Schauspielerin, die gar nicht undankbar ist, das Werk erst in der Vorbereitung gelesen zu haben. Schließlich haben Kollegen am Set - wie etwa der Filmvater Gerald Votava - seit der Kindheit bestimmte Bilder im Kopf. "Wenn man Bücher verfilmt, die vielen Menschen am Herzen liegen, geht man natürlich die Gefahr ein, dass es von den Bildern im Kopf abweicht", so der Schauspieler.



Er selbst hat auch Bilder aus der Umgebung im Kopf, in der "Maikäfer flieg" spielt. Schließlich sei er an den Rändern des 17. Wiener Gemeindebezirks aufgewachsen, wie er erzählt. "Die Gegend und die Menschen sind mir vertraut, wie sie miteinander umgehen und sprechen." Diese speziell gefärbte Sprache, wie sie für Nöstlingers Werk charakteristisch ist, sei im Vorfeld zum Dreh ein großes Thema gewesen. Schließlich habe man sich entschlossen, im Dialekt zu spielen, wie Strauss und Votava erzählen. Lediglich die Kinder im Film sprechen eher Hochdeutsch, was aber auch kein Problem sei. Schließlich sei es ja oft so, dass Kinder den Dialekt der Eltern nicht mehr annehmen würden. "Der Dialekt stirbt langsam aus", so Strauss. "Es wäre aber falsch gewesen, wenn auch wir Erwachsenen in einem Film über das Jahr 1945 Hochdeutsch gesprochen hätten."

Während des Gesprächs wird Strauss immer wieder emotional, wenn es um die Aktualität des verfilmten Stoffs geht. "Man braucht sich nur umschauen. Überall rund um uns ist Krieg, es wird immer schlimmer, die Menschen haben immer mehr Angst und die Flüchtlinge werden behandelt, als würden sie gern hierher kommen. Ich habe das Gefühl, uns kommt immer mehr die Anständigkeit abhanden, ich weiß nicht warum." Auch im Film geht es um Traumatisierung, um einen von Krieg und Angst geprägten Alltag. "Insofern ist der Film brandaktuell", so Strauss.

Bei der Entscheidung für den Film vor zwei Jahren sei die Aktualität allerdings noch kein Thema gewesen, "da war die Situation noch nicht so verschärft", erinnert sich Strauss. "Aber diesen Film würde ich immer machen. Es ist vielleicht auch wichtig, sich gerade dann mit dem Thema zu beschäftigen, wenn es nicht im Bewusstsein ist. Weil es jederzeit immer wieder passieren kann."

Als Film-Vater hat Regisseurin Unger ihren Lebensgefährten Gerald Votava besetzt, der als Deserteur sowohl von den Nationalsozialisten wie auch den Russen aufgrund seiner Vergangenheit als deutscher Soldat verfolgt wird. Er hatte im Vorfeld viel Kontakt mit Christine Nöstlinger, die sich allerdings weder ins Drehbuch noch in die Dreharbeiten eingemischt habe. Ihre Erzählungen über ihren Vater hätten ihm allerdings geholfen, sich der Figur anzunähern. Er habe den Vater zwar schon "über Jahre im Kopf gehabt", aber auch das Erlernen der russischen Sprache, die Lektüre von Erinnerungen an Russland-Einsätze deutscher Soldaten und Erfahrungsberichten aus Lazaretten habe ihm sehr geholfen.

Auch für ihn ist "Maikäfer flieg" genauso wie für Strauss weder dezidiert ein Kinder- oder Erwachsenenfilm. "Er thematisiert die Problematik, wenn verschiedene Generationen zusammenleben, den Übergang zwischen Kriegsende und dem so genannten Friedensbeginn mit den Besatzern. Ich bin ja auch mit dem Russen-Besatzungs-Klischee aufgewachsen, im Film wird es differenzierter gezeigt als das, was man weiß." Sehr bewusst ist er sich auch der Aktualität des Stoffes: "Krieg ist leider ein aktuelles Thema, auch das Zusammenleben zwischen verschiedenen Nationen. Und die Sprache, die einem das Überleben ermöglicht."
 
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