Moretti-Interview
Jud Süß - Auf der Spur der Nazi-Perfidie
20.09.2010
Tobias Moretti über "Jud Süß – Film ohne Gewissen" im Interview.
"Jud Süß – Film ohne Gewissen“ erzählt von der Entstehung des übelsten Hetzfilms der Nazis. Jetzt läuft das Werk mit Tobias Moretti an.
Kino
Tobis Moretti ist Ferdinand Marian. Der Star spielt in Oskar Roehlers Jud Süß
– Film ohne Gewissen den österreichischen Schauspieler, der 1940 von Nazi-Propagandaminister Goebbels (Moritz Bleibtreu) ein Angebot bekam, das er nur zu gern abgelehnt hätte: Er übernahm die Hauptrolle im antisemitischen Hetzfilm Jud Süß. Moretti im Interview über seinen umstrittenen neuen Film.
ÖSTERREICH: Wie gingen Sie an "Jud Süß – Film ohne Gewissen“ heran?
Tobias MORETTI: Es war von vornherein klar, dass dies ein sehr kontroverser Film werden würde. Man musste sich entscheiden: Macht man den Film aus einer dokumentarischen politischen Distanz oder schmeißt man den Leuten einen Brocken hin und konfrontiert sie mit einer Irritation. Für Letzteres hat man sich entschieden.
ÖSTERREICH: Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass Aufführungen von "Jud Süß“ bis heute verboten sind?
MORETTI: Ich finde das ziemlich fahrlässig. Das Gegenteil wäre richtig. "Jud Süß“ ist ein beklemmend gut gemachter Film. Damit muss man umgehen, sonst kann man seine perfide Dimension nicht ermessen. Der Film zeigte den Juden Süß als einen Mann, dem es nur um den eigenen Vorteil ging und der um das eigene Überleben kämpfte. Und der dadurch natürlich im Gegensatz zum Nazi-Bild von den arischen Menschen stand – die sollten sich als Kollektiv begreifen und bereit sein, für eine Idee zu sterben.
ÖSTERREICH: Glauben Sie, wollte Marian den "Jud Süß“ wirklich nicht spielen oder hat er das Angebot doch gerne angenommen?
MORETTI: Er wollte den Film am Anfang nicht machen, weil er die Gefahr spürte. Und er war ja kein Nazi. Aber dann waren ihm seine eigene Eitelkeit und sein Opportunismus im Wege. Das hat ihn dann auch zu Fall gebracht. Er war ein typischer Spätkarrierist, für den sich mit "Jud Süß“ natürlich auch die Gunst der Stunde zeigte. Man macht sich keine Vorstellung, auf welcher Woge der Privilegien damals die Schauspieler der Nazis herumgereicht wurden, während alle anderen in den Niederungen des menschlichen Daseins und des Kriegs herumkrochen.
ÖSTERREICH: Man wirft dem neuen Film historische Ungenauigkeit vor.
MORETTI: Ich kann diese Vorwürfe einerseits nachvollziehen und finde sie andererseits eher irrelevant. Marians Frau hatte ein halbjüdisches Kind mit einem früheren Ehemann. Dass sie im Film selbst zur Halbjüdin wird, dient nur zur dramatischen Überspitzung, um Marian mit der Charakterlosigkeit seines Tuns direkt zu konfrontieren.