Cannes-Blog

Seidl-Film: Weiblicher Sex-Tourismus & Gefühl

19.05.2012

Österreich-Filmchef Gunther Baumann berichtet aus Cannes. 

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Grauer  Himmel, sonnige Stimmung. Der Wiener Regisseur Ulrich Seidl und sein Team schritten am Freitag bestgelaunt auf dem Roten Teppich von Cannes zum Festival-Palais empor. Hauptdarstellerin Margarethe Tiesel fiel allein schon wegen ihres Outfits auf wie ein Hollywood-Star: Die Grazerin – Hand in Hand mit ihrem afrikanischen Filmpartner Peter Kazungu – erschien im tief dekolletierten Dirndl. Ein Kleidungsstück, das man beim Festival seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat.

Seidl Film bekam großen Zuspruch
Der neue Seidl-Film „Paradies: Liebe“ hatte schon vor der Premiere bei einer Vorführung für die internationale Presse viel Beifall erhalten. Und das trotz eines kontroversiellen Themas: Weiblicher Sextourismus.

Frau findet in Kenia große Liebe
„Es geht um Frauen in den Fünfzigern, die glauben, in Kenia das an Liebe, Geborgenheit und Sex zu finden, was sie in Österreich nicht mehr bekommen“, sagt Ulrich Seidl. Er bringt die Geschichte mit für ihn typischen Mitteln auf die Leinwand: Explizite Sex-Szenen, drastische Dialoge, durchsetzt mit manchmal fast kabarettistischem Humor. Und dazu gibt’s grandiose Bilder der Meister-Kameraleute Wolfgang Thaler und Ed Lachman.

Im Bett mit einem "Beach Boy"
Der Plot von „Paradies: Liebe“: Im Zentrum steht eine nicht mehr ganz taufrische Österreicherin (Margarethe Tiesel) namens Teresa, die einen Kenia-Urlaub bucht, um ein bisschen Liebe zu finden. Bald landet sie mit dem attraktiven Munga (Peter Kazungu), einem der zahlreichen „Beach Boys“ von Mombasa, im Bett. „Die Ausgebeuteten beuten die Ausgebeuteten aus“, könnte als Motto über dem Film stehen.  In den Worten der bravourösen Hauptdarstellerin Margarethe Tiesel: „Am Beginn steht die weibliche Einsamkeit. Wenn eine Frau älter wird und nicht mehr so aussieht wie in den Magazinen, hat sie es nicht leicht bei der Partnersuche. In Afrika hingegen ist man mit weißer Haut sehr begehrt.“

Verhältnis zwischen "Beach Boy" und "Sugar Mama"
Doch dieses Begehren ist auch ein finanzielles. Die „Beach Boys“ nehmen von ihren weißen „Sugar Mamas“ Geld – das sie oft dringend brauchen, um ihre eigenen Familien durchzufüttern. Die Wiener Schauspielerin Inge Maux, die in „Paradies: Liebe“ eine Hauptrolle spielt, erzählt: „Eine Schweizer Freundin von mir ist in Kenia schon am ersten Abend dem Charme eines „Beach Boys“ erlegen. Sie ist quasi unschuldig in die Affäre reingerutscht. Aber am Ende waren 50.000 Franken weg.“

Natürliche Sexszenen
Die Darstellerinnen, von Model-Maßen schon ein bissl entfernt, beweisen bei den Sex-Szenen bewundernswerte Lockerheit und viel Mut zu nackter Haut. Allen voran Margarethe Tiesel.  „Natürlich kostete es mich Überwindung, die eigene Schamgrenze zu überspringen“, sagte sie in Cannes. Aber Ulrich Seidl sagte mir vor dem Dreh, es werde nichts passieren, was ich nicht will. Und da dachte ich mir, na, dann kannst du es machen.“

Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Sextourismus
Tiesel über den Unterschied zwischen weiblichem und männlichem Sex-Tourismus: „Die Frauen wollen Gefühl, auch wenn sie bezahlen. Die Liebe muss dabei sein. Auch wenn die Gefahr, enttäuscht zu werden, dadurch noch größer wird.“

 „Paradies: Liebe“ zählt zu den starken Filmen in einem sehenswerten Wettbewerb. Am Sonntag geht Cannes-Liebling Michael Haneke, der 2009 mit „Das weiße Band“ die Goldene Palme gewann, mit „Amour“ an den Start. Die Film-Elegie über ein alterndes Paar (mit Jean-Louis Trintignant und Isabelle Huppert) gilt schon vor der Premiere als potenzieller Favorit für einen Preis.

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