Filmfestspiele in Cannes

"Amour": Applaus für Hanekes zärtlichsten Film

21.05.2012

ÖSTERREICH-Filmchef Gunther Baumann berichtet aus Cannes.

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© Getty Images
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Heftiger Regen in Cannes, aber das tat der freundlichen Atmosphaere keinen Abbruch. Österreichs zweiter Beitrag im Wettbewerb um die Goldene Palme wurde am Sonntag mit starkem Applaus bedacht – und der klang ergriffen. Der Wiener Regisseur Michael Haneke stellt in seinem neuen Film „Amour“ nämlich Menschen in den Mittelpunkt, die im Kino nur höchst selten zu Hauptfiguren werden. Es geht um einen alten Mann, der zum Pfleger seiner an einem schweren Schlaganfall erkrankten Frau wird.

Dass das Drama ein tödliches Ende nehmen wird, macht Haneke schon im Filmprolog klar. In den zwei Stunden danach begleitet er das (offenkundig innig glückliche) Musikprofessoren-Paar bei der Katastrophe - auf dem langen Weg zum Abschied. Der Wiener, der so oft die Gewalt ins Zentrum seiner Werke stellt, hat mit „Amour“ (Kinostart im Herbst) seinen zärtlichsten Film gedreht. Im Stil einer Dokumentation berichtet er von den Stufen des zunehmenden Verfalls der Frau und von den immer verzweifelteren Versuchen des Mannes, ihr zu helfen.

„Jeder, der ein bestimmtes Alter erreicht, wird mit dem Leid eines geliebten Menschen konfrontiert“, sagte Haneke im Pressegespräch zum Film. „Mit diesem Leiden umzugehen, ist sehr schwierig – und genau davon handelt mein Film.“ Haneke, der seinen letzten Film „Das weiße Band“ (Goldene Palme 2009) in Deutschland gedreht hatte, übersiedelte für „Amour“ wieder einmal nach Paris, wo er ein erlesenes Darsteller-Trio vor die Kamera holte. Die Frau (die wie alle weiblichen Haneke-Hauptfiguren den Rollennamen Anne trägt) wird von Emmanuelle Riva gespielt, die 1959 mit „Hiroshima, mon amour“ berühmt wurde. Der Mann (wie immer bei Haneke ein Georges): Frankreichs Filmlegende Jean-Louis Trintignant. Topstar Isabelle Huppert übernahm die Rolle der Tochter.

„Ich habe seit 14 Jahren keinen Film mehr gedreht, weil ich viel lieber Theater spiele“, sagte Trintignant, 82,  in Cannes. „Aber ich halte Michael Haneke für einen der besten Regisseure der Welt. Deshalb habe ich mitgemacht. Die Arbeit mit ihm war schmerzhaft, aber zugleich ein großes Vergnügen. Und zum ersten Mal in mehr als 100 Filmen sehe ich mich selbst gern auf der Leinwand.“ Kommentar von Isabelle Huppert: „Ich sehe mich immer gern in Michaels Filmen. Deshalb würde ich gern noch oft mit ihm drehen.“ Auch die Grande Dame Emmanuelle Riva schwärmt von der Arbeit. „Während der zweimonatigen Drehzeit schlief ich praktisch im Studio und konnte es morgens kaum erwarten, anzufangen. Alles ging ganz leicht, außer meinen Szenen im elektrischen Rollstuhl. Ich hatte Angst, damit gegen die Wand zu krachen. Aber Michael Haneke führte mir vor, wie man mit dem Ding fährt.“ Über ihre Rolle meint sie: „Michael meinte, ich solle nicht sentimental spielen. Damit fiel der Groschen bei mir. Ich konnte mich total mit Anne identifizieren. Aber wenn ich den Film anschaue, kommt es mir vor, als würde ich eine fremde Frau sehen, die nichts mit mir zu tun hat. Natürlich hoffe ich, dass mir Annes Schicksal, einen Schlaganfall zu erleiden, erspart bleibt.“ „Wenn man einen traurigen Film dreht, heißt das nicht, dass die Arbeit daran traurig sein muss“, sagt Regisseur Haneke über die gute Stimmung am Set.

Jean-Louis Trintignant erzählt eine komische Anekdote über eine Szene, die im fertigen Film einen von Tragik überlagerten Grundton hat. Es geht darum dass er eine Taube einfangen muss, die in die Wohnung des Paars geflattert ist.

Trintignant: „Für mich war das sehr schwierig, weil ich das Gefühl hatte, Michael wollte die Taube inszenieren und nicht mich. Und er fand, die Taube spielte schlecht. Volle zwei Tage haben wir daran gedreht, und wir brauchten zwei Tauben – die erste hat aufgegeben.“

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