"Mit bissl Dialektik und Uhudla" gelingt Spagat zwischen kleinen & großen Sauerein.
Manchmal vergeht die Zeit wie im Flug. Da schläft man an der Bar des Cafe Europa ein und wacht zehn Jahre später wieder auf. Da fallen einem kurz die Augen zu und man beginnt sogleich, alles wieder wie aus einem Traum zu rekonstruieren. Oder da sitzt man im Wiener Rabenhof bei Andreas Vitasek und merkt kaum, dass bereits knapp drei Stunden vergangen sind. "Sekundenschlaf" nennt sich das zwölfte Programm des 57-jährigen Kabarettisten, das am 8. Oktober umjubelte Premiere feierte.
Kabarett-Star brachte Pointen puntgenau
Schon lange nicht mehr hat man Andreas Vitasek so wach und so am Punkt erlebt wie diesmal. Die ihm eigene sanfte Melancholie schimmert nur am Ende der ersten Programmhälfte etwas durch, ansonsten liefert der 57-jährige Wiener mit dem Hang zum treffsicheren Nebensatz eine pointierte und sympathische Mischung aus Alltags(selbst)beobachtungen und Anekdoten ab, teils satirisch bis bissig, teils entrückt bis sentimental, immer wieder mit einer Neigung zum politischen Statement. Vor allem zu Beginn konstatiert Vitasek, dass man tatsächlich in interessanten Zeiten lebe: Bei neuen technischen Geräten ist deren Zerstörung schon einkalkuliert, in der Wirtschaft wird nicht mehr gespart, sondern eingespart ("das eine heißt reduzieren, das andere eliminieren"), und wenn einer zum "Manager des Jahres" gekürt wird, kann man davon ausgehen, dass er ein paar Jahre später schon im Gefängnis sitzen wird. Vitasek bleibt stets streng subjektiv und seine Spitzen sitzen fast immer.
Der alltägliche Wahnsinn
"Letztens war ich bei der Bank meines Vertrauens", beginnt er etwa eine Anekdote - jedoch nicht ohne vor dem Weitererzählen trocken einzuschieben: "Das war eigentlich schon die Pointe." Vitasek berichtet aber nicht nur von seinen Erlebnissen bei der Post, beim Elektronikhändler "Saturn" oder seinen Immofinanz- und Libro-Aktien, sondern widmet sich auch ausführlich dem Altern, seinen Haustieren ("die stummen Zeugen unseres Altwerdens") und dem neuen Haus im Südburgenland.
Vitasek erzählt aus seinem Leben
Allein das Entsetzen in den Augen seiner Schildkröte beim Absturz aus dem Fenster oder die Funktionenumkehr bei der Freundschaft mit seinem Mops ("Ich bin der Wachmensch meines Hundes") schildert Vitasek mit so großer Lust am Wortspiel und spielerischem Erzählen, dass nach der Pause kaum ein Auge trocken bleibt. Immerhin 70 Prozent der Geschichten seien autobiografisch, sagte er nach der Premiere der APA. "Den Rest schmücke ich aus wie ein orientalischer Märchenerzähler." Dass der Auftakt des neuen Programms am 85. Geburtstag von Helmut Qualtinger geglückt ist, darüber zeigte sich Vitasek durchaus erleichtert. Selbst nach über 30 Jahren und weit mehr als 2.000 Auftritten sei dies keine Selbstverständlichkeit - und doch ist, frei nach Brecht, der Spagat zwischen den kleinen Dingen und den großen Schweinereien inhaltlich machbar, ist der Schauspieler (geübt in burgenländischem Tai Chi) überzeugt: "Mit ein bissl Dialektik und Uhudla geht beides."
(Von Daniel Ebner/APA)
Info
"Sekundenschlaf" von Andreas Vitasek, Rabenhof Theater Wien, bis 13. Dezember, www.rabenhoftheater.com - bzw. in Krems (18.10.), Mattersburg (7./8.11.), Baden (9.11.), Oberschützen (14./15.11.) und St. Pölten (28./29.11.) - Sondervorstellungen am 28., 29. und 31. Dezember im Wiener Konzerthaus - www.vitasek.at