Karl-Löbl-Kritik
Diese Lulu ist ein Sex-Automat
03.08.2010
Opernpremiere in Salzburg: Bein- und Unterleibsgymnastik statt Sinnlichkeit und Erotik.
Eine Produktion größter Missverständnisse. Maler Daniel Richter wundert sich über die Felsenreitschule und meint, sie sei „wie ein Schuhkarton“. Der Zuschauer versteht die Wahl der Bühne nicht. Denn die Verwandlung der Schauplätze ist technisch unmöglich. Warum spielt man nicht Orfeo ed Euridice hier, wohin Glucks Oper passte, und statt ihr Lulu im Festspielhaus? Auch die Regisseurin Vera Nemirova unterliegt einem Irrtum. Sie empfindet die Musik „als einen Klangteppich, der neben den Figuren existiert“, hat also von Alban Bergs Prinzipien und Dramaturgie keine Ahnung. So sieht ihre Inszenierung auch aus.
Ermüdend
Als Verdeutlichung männlicher Fantasien und Wünsche
dienen der Griff zum und in den Hosenschlitz, Bein- und Unterleibsgymnastik.
Von Erotik, Sinnlichkeit keine Spur. Patricia Petibons Lulu wird zum
Sex-Automaten degradiert, dessen Aktivitäten im Verlauf der Handlung den
Zuschauer und die Darstellerin ermüden. Nicht die Sängerin. Stimmlich ist
die Petibon ausgezeichnet. Von ihrem Text versteht man allerdings kaum ein
Wort. Im Gegensatz zu Franz Grundheber, Michael Volle, Thomas Piffka, die
Wort und Musik dank klarster Artikulation in der Balance halten. Das
versucht auch, nicht immer erfolgreich, Marc Albrecht am Pult der Wiener
Philharmoniker. Ein guter, keineswegs überzeugender Anwalt Alban Bergs.
Gucklöcher
Weil Richters Bildtafeln und Vorhänge die Arkaden
der Felsenreitschule verbergen, muss die Vorderbühne zu Bergs Musik mehrmals
händisch verändert werden. Im Libretto sind zwar alle Szenen penibel genau
beschrieben. Aber wen kümmert das heutzutage? Ein bürgerlicher Salon wird
durch eine schwarze Pyramide mit Gucklöchern ersetzt, die Pariser
Spekulanten-Society agiert zwischen dem Publikum im Zuschauerraum. Die
Dachkammer, in der Jack the Ripper Lulu ermordet, wurde zum Zelt im
winterlichen Wald. Der Text meint anderes. Missverstanden auch er.