Massenansturm auf die Frankfurter Buchmesse - wie immer sind auch zahlreiche Promiautoren dabei.
Jubel und knallende Sektkorken bei Hoffmann und Campe, lange Gesichter beim Hanser Verlag gleich um die Ecke: Wie nah Freude und Enttäuschung beieinanderliegen können, ließ sich am Donnerstag auf der Buchmesse studieren. Punkt 13 Uhr wurde bekannt: Doris Lessing (87) erhält den Literaturnobelpreis, und ihr deutscher Verlag, der insgeheim damit gerechnet hatte, holte die Sektflaschen aus dem Kühlschrank.
Keine fünf Minuten später ist hier kein Durchkommen mehr, von allen Seiten strömen Journalisten herbei, um erste Stellungnahmen einzuholen, und auch die leer ausgegangenen Verlagskollegen kommen und gratulieren, das ist man schließlich seinem Ruf als kultivierter Buchmensch schuldig.
Hanser enttäuscht
Trotzdem war die Enttäuschung
unübersehbar, vor allem bei Hanser, wo man auf den seit Jahren erwarteten
Sieg des "Hausautors" Philip Roth gezählt hatte. Keine Anmaßung, denn wie
die Reaktionen zeigen, hätten auch Autoren wie Michael Köhlmeier, Gerhard
Roth und das Urgestein der deutschen Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki,
dem US-Autor die noble Auszeichnung für das Lebenswerk mehr vergönnt als der
britischen Schriftstellerin.
Derlei kritische Äußerungen sind freilich untrennbarer Bestandteil des alljährlichen Nobelpreis-Prozederes. Auch im Vorjahr, als der türkische Autor Orhan Pamuk ausgezeichnet wurde, und im Vorvorjahr, als der britische Dramatiker Harold Pinter gewann, machten Insider ihrer Enttäuschung Luft, dass wieder nicht Philip Roth, John Updike oder Thomas Pynchon geehrt wurden, und die Spekulationen, dass die Vergabe des Literaturnobelpreises an einen dieser Großmeister der US-Literatur an "politischen Gründen" scheitere, gab es auch heuer wieder.
Eco und Jelinek freuen sich
Aber die Entscheidung des Komitees
findet mindestens so viele Befürworter wie Kritiker. Der italienische
Schriftsteller Umberto Eco bezeichnete Lessing als "große, individuelle
literarische Seele". Die Schriftstellerin verdiene die Auszeichnung
zweifellos. Und die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede
Jelinek betonte, der Preis für Lessing sei "längst überfällig gewesen". "Ich
hatte sogar gedacht, sie hätte ihn schon."
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Lessings berühmtestes Buch, Das Goldene Notizbuch, sei "sicher eines der wichtigsten feministischen Werke der Literatur überhaupt", so Jelinek weiter. Sie habe "leider länger nichts mehr von ihr gelesen", gab Jelinek offen zu. "Ich werde das aber nachholen." Die ideale Gelegenheit dazu hat sie jetzt – wie alle, die schon länger nichts von Doris Lessing gelesen haben: Ihr jüngster Roman Die Kluft ist gerade erst erschienen.
Der Preis-Reigen
So viele Literatur-Preise wie in diesem Jahr gab
es auf der Buchmesse noch nie zu feiern. Am Montag ging zum Auftakt der
Messe die Verleihung des Deutschen Buchpreises über die Bühne: Das
verkaufsfördernde Siegel "Bester Roman des Jahres" ging an Die Mittagsfrau
der deutschen Autorin Julia Franck (37).
Sie hat damit zwei Österreicher ausgestochen, Michael Köhlmeier und Thomas Glavinic sowie drei deutsche Kollegen (Martin Mosebach, Katja Lange-Müller und Thomas von Steinaecker), deren Romane immerhin auf der Shortlist für den Buchpreis standen. Was besondere Aufmerksamkeit im immer unübersichtlicher werdenden Büchermarkt garantiert, der jedes Jahr unfassbare 90.000 Neuerscheinungen verkraften muss.
Am Dienstag gab Bundesministerin Claudia Schmied auf der Buchmesse weitere Gewinner bekannt: Der mit 25.000 Euro dotierte, renommierte Staatspreis für Europäische Literatur geht dieses Jahr an die schottische Schriftstellerin A.L. Kennedy, deren gerade erschienener Antikriegsroman Day die Kritiker zu begeistertem Lob hinriss. Kennedy sei "eine der wichtigsten und originellsten Stimmen der zeitgenössischen Literatur", würdigte Schmied die 1965 geborene Autorin.
Es gelinge ihr, die Leser mit jedem neuen Roman "aufs Neue zu überraschen und zu begeistern". Kennedys Vorgänger bei dem mit 25.000 Euro dotierten Preis sind u.a. Julian Barnes, Cees Nooteboom, Umberto Eco und Claudio Magris, der heuer übrigens auch als Favorit für den Literaturnobelpreis gehandelt worden war.
Über ein mehr als ehrenvolles Trostpflaster für den knapp verpassten Deutschen Buchpreis kann sich Michael Köhlmeier freuen: Er erhält von der Kulturministerin den mit 11.000 Euro dotierten "Würdigungspreis". Der Vorarlberger Autor gastiert, wie viele seiner österreichischen Kollegen, derzeit auf der Frankfurter Buchmesse und stellt in zahlreichen Lesungen seinen Jahrhundertroman Abendland vor.
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Promi-Autoren
Das Bad in der Menge – pro Messetag drängen sich
rund 50.000 Besucher in den Hallen – genießt auch Köhlmeiers Landsmann Arno
Geiger. Der Buchpreis-Gewinner des Jahres 2005 hetzt von einem Interview zum
nächsten und signiert wie am Fließband seinen neuen Erzählband Anna nicht
vergessen.
In öffentlichen Interviews stellen sich Gerhard Roth, Robert Menasse und Thomas Glavinic dem interessierten Publikum und freuen sich über den überraschend großen Zuspruch, den österreichische Autoren in einem vorwiegend bundesdeutsch dominierten Umfeld genießen. Der beinahe hysterische Andrang, den ein gemeinsamer Auftritt von TV-Star Thomas Gottschalk und dem Altmeister der deutschen Literatur, Martin Walser, am Mittwochnachmittag erzeugte, ist allerdings keinem "unserer" Autoren vergönnt.
Massenauflauf
Rund 300.000 Besucher werden die Buchmesse bis
Sonntag frequentiert haben, fast ebenso viele Bücher werden dort mit
ungeheurem Aufwand präsentiert. Wie viele der kaum bewachten
Ausstellungsstücke "Beine kriegen", ist das bestgehütete Geheimnis der
Branche: Die Abgänge sind zum einen als PR-Maßnahme einkalkuliert, zum
anderen könnte es für manche Autoren peinlich sein zu erfahren, dass ihre
Werke nicht einmal "geschenkt" begehrt sind.
Einen hinterhältigen Gag hat sich Carlsen, der deutsche Verlag von Joanne K. Rowling, ausgedacht: Die prominent platzierten Ausgaben von Harry Potter und die Heiligtümer des Todes, sind Mogelpackungen: Hinter dem originalen Cover verbergen sich 700 unbedruckte Seiten. Wer Potters finales Abenteuer auf Deutsch lesen will, muss sich bis zum 27. Oktober gedulden – oder die leeren Seiten selbst füllen.
Katalonien im Eck
Nur ein Makel trübt die Festspiele für
Bücherratten: Als Gastland hat die katalanische Kultur ihren groß beworbenen
Auftritt, doch der ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten. 150 katalanische
Autoren sind angereist – und verschwinden in den Weiten des Messegeländes.
Das mit Millionenaufwand errichtete "katalanische Zentrum" ist in einer
dunklen Halle versteckt.
Panoramabilder zeigen dort Landschaftsaufnahmen. Das reichhaltige literarische Schaffen der Region geht völlig unter. Dieses Mausoleum haben sich Kataloniens Autoren nicht verdient.