"Campiello"-Premiere
Turrini: "Dann kommt der tiefe Fall"
12.01.2011
Am Donnerstag feiert das Stück Premiere. Das Interview.
ÖSTERREICH: Haben Sie die "Silvester“-Premiere in Klagenfurt gesehen?
Peter Turrini: Ich bin meiner Tradition treu geblieben, bei meinen Premieren nicht in den Zuschauerraum zu gehen. Das wäre mir nervlich zu anstrengend. Deshalb bin ich im Büro des Herrn Intendanten gesessen, habe drei Whiskys getrunken und mir die Aufführung am Monitor angeschaut.
ÖSTERREICH: Wie neu ist die Neufassung Ihres Josefstadt-Stücks "Campiello“?
Turrini: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten: Denn die Version, die 1982 am Volkstheater uraufgeführt wurde, war eine Neufassung des alten Goldoni-Stücks. Deshalb ist die Josefstadt-Version jetzt eine Neufassung der Neufassung.
ÖSTERREICH: Was ist neu?
Turrini: Nach heißen Debatten mit Herbert Föttinger haben wir das Stück in die 1960er-Jahre und von Venedig in ein heruntergekommenes, wellblechhüttenartiges Arbeiterviertel nach Mestre verlegt. Zudem treffen jetzt nicht mehr – wie bei Goldoni – zwei Sprachen, die aristokratische und die proletarische, aufeinander, sondern zwei Klassen. Jedenfalls sind für die Josefstadt-Version ganze Szenen neu entstanden, und auch die Figur des Cavaliere ähnelt weniger einem Aristokraten als einem Julius Meinl V.
ÖSTERREICH: Weshalb die 1960er-Jahre?
Turrini: Zum einen ist der Föttinger ein Fan dieser Ruderleiberl-Dekade. Und zum anderen habe ja auch ich diese Zeit, in der ich als Hotelsekretär in Bibione gearbeitet habe, – von den Schlagern aus San Remo bis zu den Kellnerinnen – in wärmster Erinnerung.
ÖSTERREICH: Man hört wieder öfter von Klassen(kampf). Gibt’s den wieder?
Turrini: Der Klassenkampf war zwar verbal nicht mehr existent. Aber die Widersprüche zwischen den Klassen, die Polarisierung von Arm und Reich, fand zunehmend statt. Trotzdem kämpft die Klasse der Arbeiter momentan nicht, sondern zieht sich – verblödet von Talkshows – in die Selbstbezichtigung und -schuld zurück. Und dass die Leute, wenn sie reihenweise ihre Jobs verlieren, von der Gewerkschaft unterstützt würden, kann man ja auch nicht allen Ernstes behaupten. Also bleibt der Rückgriff auf die Sparbücheln der Großeltern, und wenn die weg sind – der tiefe Fall.
ÖSTERREICH: Die Helden und Antihelden in Turrini-Stücken leben meist an den Rändern der Gesellschaft. Sind diese "Ränder“ größer geworden?
Turrini: Diese Ränder sind größer geworden, was auch damit zusammenhängt, dass sich hier mittlerweile auch viele nicht geschulte, arbeitslose Jugendliche und nicht integrierte oder nicht integrierbare Ausländer befinden. Deshalb muss man auch feststellen: Als wir in den siebziger Jahren revolutionäre Sprüche klopften, waren die Verhältnisse keineswegs so verheerend wie heute. Denn inzwischen geht es ja nur noch darum, dass wenigstens einer durchkommt – der Lottogewinner. Und alle anderen scheiden – wie bei den diversen Contests – leider aus.
ÖSTERREICH: Besuchen Sie die Josefstadt-Premiere?
Turrini: Ich werde wieder im Büro des Direktors sitzen – diesmal vermutlich bei vier Whiskys.