Regisseur nahm Buhkonzert des Publikums entgegen und provozierte das Auditorium.
Er hat es ausgestanden - vier monumentale "Ring"-Teile und neun Minuten wütendes Buh- und Pfeifkonzert des Publikums: Regisseur Frank Castorf hat sich am 31. Juli bei den Bayreuther Festspielen erstmals vor den Vorhang getraut und den ob seiner provokanten Deutung des Wagner-Stoffes erwarteten Unmut geerntet. Anfangs noch stoisch, provozierte der Intendant der Berliner Volksbühne aber alsbald das wütende Auditorium.
Castorf provozierte Auditorium
Er forderte die Zuschauer auf, lauter zu buhen, tippte sich an die Stirn und zeigte auf seine Uhr um zu zeigen: Ich habe Zeit. Minutenlang verharrten er und sein Team im wütenden Proteststurm - gleichsam eine Kraftprobe, wem zuerst die Luft ausgeht. Letztlich waren es doch die Zuschauer, in deren Reihen sich nur wenige Bravo-Rufer fanden. Auch unter den Sängern fanden sich diesesmal einige Vertreter, die den Unmut des Publikums in Empfang nehmen mussten, allen voran Attila Jun, der seinen Hagen im Juni kommenden Jahres auch an der Wiener Staatsoper singen wird. Auf schauspielerischer Ebene mit der Subtilität von Stummfilmdarstellern ausgestattet, trieb er mit grummelndem Bass und flutschenden Konsonanten die Textverständlichkeit gen Null. Auch Lance Ryan als Siegfried sah sich mit dem verbalen Groll einiger Besucher konfrontiert. Der kanadische Tenor musste von Beginn an mit Druck arbeiten und dementsprechend pressen, erfüllte dabei aber die Auslegung seines Charakters als etwas schmieriger Strizzi perfekt.
Catherine Foster als gefeierter Star
Zur Königin der Herzen mauserte sich hingegen nach fremdelndem Start über den "Ring" hinweg Catherine Foster als Brünnhilde, die am Ende für ihren ungewohnt leichten Sopran frenetisch als Liebling der Bayreuther gefeiert wurde. Ihre Schwester Waltraute könnte in der Interpretation von Claudia Mahnke hingegen mit ihrem scheppernden Vibrato Tote aufwecken - was als Transportunternehmer der toten Krieger wenig praktisch sein dürfte.
Zwischen Dönerbude, Reichstag und Wall Street
Sie alle stellte Castorf in ein Ambiente, das zwischen Dönerbude, Reichstag und Wall Street changierte, womit er seinem eingeschlagenen Weg der vergangenen drei Abende treu blieb. Der 62-Jährige setzte auf monumentale Bilder und Trash, schuf eine von Zitaten der zeitgenössischen Popkultur überbordende Detailfülle und einen Abgesang auf die Ideologien des 20. Jahrhunderts. Der Castorf-Kosmos reicht dabei von Sergej Eisensteins legendärer Treppenszene aus "Panzerkreuzer Potemkin" bis zur Plaste und Elaste aus Schkopau.
Zwischen Ernsthaftigkeit und ein Augenzwinkern
Die Halle der Gibichungen hat sich zur "Döner Box" gewandelt, während Siegfried und Brünnhilde im Trailer vor dem von Christo verpackten Reichstag leben. Der wandelt sich später durch das Fallen der Planen unversehens zur New Yorker Börse - ein Paradebeispiel für den Ansatz Castorfs, Symbole von größter Ernsthaftigkeit und ein Augenzwinkern zu verbinden. Die obligatorischen Videoeinspielungen fungierten bei der "Götterdämmerung" weniger als Livemitschnitt denn als assoziative Bildwelten und tiefenpsychologischer Kommentar zum Bühnengeschehen.
Personenführung ließ enttäuschte
Die große Schwäche der "Götterdämmerung" war dabei überraschenderweise die Personenführung - eine der großen Stärken der ersten drei Teile. So nimmt sich die Positionierung der Sänger erstaunlich betulich aus und huldigt zum Abschied dem Rampentheater. Auf ungeteilte Begeisterung traf hingegen erneut die dritte Seite des Bayreuther Dreiecks: Kirill Petrenko, der künftige Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, legte abermals eine ebenso luzide wie mächtige, ebenso gewaltige wie mit subtilen Farben spielende Interpretation der Partitur vor, die den Gesamtzusammenhang nie aus den Augen verlor und sich ganz in den Dienst der Sänger stellte. Bayreuth hat somit sein zweites Graben-Goldstück neben Christian Thielemann gefunden. Mit Frank Castorf muss man am Grünen Hügel hingegen erst noch warm werden - das Potenzial dazu hat die Inszenierung allerdings zweifellos.
Info
"Götterdämmerung" von Richard Wagner im Festspielhaus, Festspielhügel, 95445 Bayreuth unter Dirigent Kirill Petrenko. Regie: Frank Castorf, Bühnenbild: Aleksandar Denic, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Licht: Rainer Casper. Mit Lance Ryan (Siegfried), Catherine Foster (Brünnhilde), Alejandro Marco-Buhrmester (Gunther), Attila Jun (Hagen), Allison Oakes (Gutrune), Martin Winkler (Alberich), Claudia Mahnke (Waltraute/Norn 2), Okka von der Damerau (Norn 1/Floßhilde), Christiane Kohl (Norn 3), Mirella Hagen (Woglinde), Julia Rutigliano (Wellgunde). Weitere Aufführungen am 19. und 27. August. www.bayreuther-festspiele.com