Das weite Land

Jubel bei Kusej-Auftakt in München

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Österreichischer Intendant zeigte einen kühlen, regnerischen Schnitzler.

Vor dem Theater brachten dunkle Wolken nach Tagen herrlichsten Spätsommerwetters die ersten Regentropfen, auf der Bühne begann die neue Direktion in den ersten Minuten gleich mit sintflutartigen Regenfällen. Ob das Sauwetter, das Anfang und Ende von Martin Kusejs Inszenierung von "Das weite Land" markierte, und die Vereisung der Gefühle, die in den drei Stunden dazwischen vorherrschte, nur einen vorübergehenden Wettersturz oder einen radikalen Klimawandel am Residenztheater markierten, wird das Münchner Publikum erst in den nächsten Wochen herausfinden können. Der gestrige Auftakt der neuen Direktion des österreichischen Regisseurs darf jedoch als durchaus geglückt gelten. Und als Schönwetter-Intendanten hatte man Kusej wohl ohnedies nicht engagiert.

Ohne Druck
Vertraut Alvis Hermanis bei seiner Inszenierung des Schnitzler-Klassikers, die kürzlich im Burgtheater herauskam, auf eine einzige Grundidee, die des Film Noir, hat sich Kusej ohne "Druck, jetzt unbedingt wahnsinnig originell sein zu müssen" angenähert. "Jetzt will ich ganz in Ruhe und auch ganz altmodisch ein psychologisches Stück mit einer Geschichte erzählen", hatte er in einem Interview angekündigt. "Man muss nicht immer alles dekonstruieren."

Gekürzt aber ganz
Das auf drei Stunden gekürzte Stück bleibt tatsächlich ganz. Kusej zeigt Menschen, denen die gesellschaftlichen Korsetts, die ihnen verpasst wurden, viel zu eng geworden sind. Angeführt vom Fabrikanten Friedrich Hofreiter, der mit seinen Glühlampen in die neue Zeit aufbrechen möchte, tappen sie alle orientierungslos im Dunkel zwischen Wollen und Dürfen. Die Mondscheinpartie findet bei Neumond statt. Kusejs Blick auf diese Gesellschaft ist kalt, heutig und pessimistisch.

Starkes Bühnenbild
Wie immer bei Kusejs Zusammenarbeiten mit Martin Zehetgruber setzt das Bühnenbild einen starken Rahmen: Hofreiters residieren in keiner Jahrhundertwende-Villa, sondern in einem modernen, kantigen, holzverkleideten Neubau. Hinter einem extrem breiten, extrem niedrigen, überdachten Entree, das die Menschen förmlich erschlägt, beginnt ein dschungelartig wuchernder grüner Garten - Verlockung und Gefahr zugleich. Wunderschön ausgeleuchtet, entsteht hier im krassen Gegensatz zur Gefühlskälte eine tropische Atmosphäre, die an Tennessee Williams' Südstaaten-Dramen erinnert.

Immer wieder treten zu den unpassendsten Momenten Menschen aus dem Dickicht, unterbrechen Liebesgeständnisse oder Abrechnungen und versuchen, den peinlichen Moment zu überspielen: "Störe ich?" Hinter dem Gebüsch herrscht ein wildes Treiben, das die Damen und Herren ganz verschwitzt und derangiert zurücklässt, nachdem "die Verhältnisse klargestellt" worden sind. Was auch immer hier gespielt wird - harmloses Tennis ist es jedenfalls nicht.

Nur für den Ausflug der sich in überreizter Atmosphäre quälenden Gesellschaft in die frische Bergluft weitet Zehetgruber die Szene: Nach einer Kletterwand, auf der Hofreiter und seine neue Geliebte, die junge Erna, gut gesichert den Aufstieg wagen, finden wir uns in einer Art Steinbruch wieder. Keine Alpenidylle (auch Kostümbildnerin Heide Kastler verzichtet weitgehend auf erwartbares Wander-Outfit), sondern nackte, herumliegende Felsbrocken.

Moretti als Exzentriker
Tobias Moretti ist als Hofreiter weder Charmeur noch Charismatiker, sondern legt als grenzenloser Egozentriker, dem die Sensation des Augenblicks mehr bedeutet als tiefe Gefühlsbindung, jene Lunte, die diese unter Spannung stehende Gesellschaft explodieren lässt. Nichts lässt er auf sich beruhen. Alles muss ausgesprochen werden. Weil er dabei immer auch einen Schritt weiter geht, als es schicklich oder menschlich anständig wäre, bohrt er damit nicht nur unerbittlich in gut verborgene Schichten des Unterbewussten, sondern richtet dabei auch Verletzungen an, die sich nicht mehr heilen lassen.

Juliane Köhler ist eine herbe, vom Dauer-Duell mit ihrem Gatten hart gewordene Genia. Die Gefühle, die ihr Mann aus dem Ärmel zu schütteln scheint, sind bei ihr erstarrt, ohne, dass sie etwas dagegen tun könnte. Dass sie sich an dem notorisch untreuen Friedrich ausgerechnet durch eine Affäre mit dem jungen Fähnrich Otto (Gunther Eckes) rächt, ist erstaunlich: Zwischen den beiden spielt sich nichts ab. August Zirner als Doktor Aigner, Eva Mattes als Ottos Mutter, die Schauspielerin Meinhold, bleiben ebenso blass wie Barbara Melzl und Britta Hammelstein als Frau Wahl und ihre Tochter Erna. Markus Hering liefert dagegen als Dr. Mauer, dem alle alles anvertrauen, eine facettenreiche Studie ab: Zum Verführen Genias zu feig, der jungen Erna zu bürgerlich-spießig, für die Machenschaften seines Freundes Friedrich zu anständig, ist er der einzige, der dieses Spiel, bei dem es keine Regeln zu geben scheint, nicht mitspielen möchte.

Gelungen
Der Beifall war außerordentlich lange und kräftig. Kusej hat sein Publikum nicht schockiert, aber auch nicht geschont. Ein gelungener Auftakt für den Premierenreigen der kommenden Tage. Am 30. Oktober dürfte der Besucherstrom aus Wien wieder ähnlich dicht werden wie gestern: Dann steht "Kasimir und Karoline" mit Birgit Minichmayr und Nicholas Ofczarek auf dem Programm.
 

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