"Jahrhundertstimme": Kaum ein deutschsprachiger Sänger hat so viele Alben eingespielt und solche Verehrung hervorgerufen wie Dietrich Fischer-Dieskau. Der lyrische Bariton, der am heutigen Freitag im Alter von 86 Jahren verstorben ist, galt als Jahrhundertsänger und herausragende Künstlerpersönlichkeit. Erfolg hatte er dabei vor allem mit einer Gattung - dem deutschen romantischen Lied.
Er gewann für diese lyrische und nicht einfach zugängliche Kunstform ein Millionenpublikum. Mehr als 3.000 Lieder hatte der gebürtige Berliner in seinem Repertoire und damit Nachfolgern wie Thomas Quasthoff den Weg in die großen Konzertsäle der Welt geebnet. In Fischer-Dieskaus legendären Aufnahmen von Franz Schuberts "Winterreise" oder in den Liedern Carl Löwes schimmerte stets jener Ernst und jene Tiefgründigkeit durch, die weltweit als urdeutscher Wesenszug verstanden wurde.
Fischer-Dieskau leitete einen Paradigmenwechsel im Bereich der Liederabende ein. Er verzichtete auf den steten Wechsel zwischen fröhlichen und tragischen Stücken, sondern brachte ganze Zyklen zu Gehör, darunter eben solche Liedgebirge wie die "Winterreise" oder die "Schöne Müllerin". Allerdings machte sich der Barde auch mit seinen Interpretationen der Lieder von Gustav Mahler einen Namen und heimste nicht nur Ehrungen, sondern auch hohe Verkaufszahlen ein.
Der am 28. Mai 1925 in Berlin geborene Fischer-Dieskau stand allerdings abseits der Liederabende mindestens ebenso oft auf der Opernbühne - als Wolfram von Eschenbach in "Tannhäuser" oder als Papageno in der "Zauberflöte". Er gab den Grafen Almaviva in "Figaros Hochzeit" und den Ottokar im "Freischütz". Insgesamt gibt es mehr als 400 Einspielungen von Fischer-Dieskau.
Der Grundstein für die spätere Weltkarriere wurde bereits im Elternhaus in Berlin-Zehlendorf gelegt. In seinem Erinnerungsband "Zeit eines Lebens. Auf Fährtensuche" gab Fischer-Dieskau einst eine ungewohnte Begründung seiner Berufswahl: "Wenn meine Mutter sich Klavier spielend im Esszimmer, in dem wegen Platzmangels auch der Blüthner-Flügel stand, an Mozart, Brahms oder Chopin versuchte, hielt ich das kaum aus, schon gar nicht, wenn sich zugleich ihre etwas piepsige Gesangsstimme hören ließ. Das musste doch besser zu machen sein!" Dabei war Mama Pianistin.
Noch in der Schulzeit hatte der Sohn eines Altphilologen mit einer Darbietung der "Winterreise" 1943 im Rathaus Zehlendorf seinen ersten Auftritt. Nach dem Hochschulstudium sprang er dann 1947 ohne Probe für einen erkrankten Solisten im "Deutschen Requiem" von Brahms in Badenweiler ein - und wurde bereits im Herbst des folgenden Jahres als erster lyrischer Bariton an der Städtischen Oper Berlin verpflichtet.
Besonders Fischer-Dieskaus enorme Bandbreite bei den oft zarten Schattierungen seiner Interpretationen begeisterte die Zuhörer. Es war vor allem die Verbindung von sprachlicher und musikalischer Genauigkeit, der für jeden Zuhörer verständliche Gesangstext, aber auch seine Leidenschaft, mit der sich Fischer-Dieskau einen weltweiten Namen erwarb. So wurde er ab 1954 auch ständiger Gast bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth.
Neben seinen Opernauftritten legte Fischer-Dieskau jedoch bald den Schwerpunkt seines Schaffens auf die Liedinterpretation, insbesondere auf Schuberts Werke. 1948 spielte er erstmals die "Winterreise" ein, von der später weitere acht Aufnahmen auf den Markt kamen. Der Brite Gerald Moore war dabei sein kongenialer Klavierbegleiter, mit dem Fischer-Dieskau zum vielleicht bedeutendsten Vertreter des romantischen Liedgesangs wurde.
Ob Wolfgang Sawallisch, Daniel Barenboim oder Christoph Eschenbach - Fischer-Dieskau standen auch immer große Dirigenten zur Seite. Zahlreiche Komponisten wie Benjamin Britten, Luigi Dallapiccola, Gottfried von Einem, Hans Werner Henze und Aribert Reimann schrieben für ihn Opernrollen, Oratorien-Partien und Lieder. Eng verbunden blieb Fischer-Dieskau mit der Deutschen Oper Berlin und nicht zuletzt den Salzburger Festspielen. Als Musikschriftsteller schrieb er unter anderem über "Wagner und Nietzsche", die Monografie "Robert Schumann" sowie mehrere Erinnerungsbände.
Den Gesang auf der Bühne hatte Fischer-Dieskau bereits mit einer Silvestergala am 31. Dezember 1992 hinter sich gelassen, als er sich nach 45 Jahren Konzerttätigkeit von der Bühne zurückzog, um sich fortan seinem Hobby des Malens zuzuwenden. Am Freitag verstarb der Künstler zehn Tage vor seinem 87. Geburtstag in Berg bei Starnberg.
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