US-Autorin spart nicht mit Kritik an Unzulänglichkeiten des politischen System.
Eine Leiche im Kanal - leider nichts Neues für Commissario Brunetti. Der Hintergrund des Verbrechens ist es aber schon. In Donna Leons neuem Buch "Tierische Profite" geht es um ein hochbrisantes und aktuelles Thema, das dem venezianischen Polizisten bei der Aufklärung seines 21. Falls heftig auf den Magen schlägt: Tierhaltung und -verwertung. Und wie immer spart die amerikanische Autorin nicht mit Kritik an den Unzulänglichkeiten des politischen Systems - in Italien und auch global.
Korrumpierbarkeit von Beamten
Natürlich gehören die offensichtliche Verstrickung von Politik und Wirtschaft dazu, die Korrumpierbarkeit von Beamten - auch in der Questura, Brunettis Wirkungsstätte - sowie die unselige Verbindung einflussreicher Persönlichkeiten mit der kriminellen (mafiösen) Szene. Dahinter stehen Gier und Machtstreben. Was hat der Tote aus dem Kanal, den Brunetti nach langen Recherchen endlich als den Tierarzt Nava identifizieren kann, mit all dem zu tun?
Commissario verschlägt es die Sprache
Die Frage beschäftigt den Commissario, als er erfährt, dass Navas Tod kein Unfall, sondern Mord war. Mit Vianello, seinem bevorzugten Mitstreiter bei der Polizei, ermittelt er in einem Umfeld, das beide so sehr abstößt, dass es ihnen die Sprache verschlägt - und den Appetit verdirbt. Denn Nava war neben seiner Arbeit in einer Kleintierpraxis auch Kontrolleur und Fleischbeschauer in einem Schlachthof nahe Venedig. Während die beiden Polizisten vor allem auf die klassische Art und Weise ermitteln, Zeugen und mutmaßliche Verdächtige aufsuchen, Orte und Unternehmen abklappern, werden sie wie stets von der toughen Sekretärin Signorina Elettra unterstützt, die sich wie keine andere mit mehr oder weniger legaler Computerrecherche auskennt. Nicht zuletzt - und darauf wartet ja der Brunetti-Kenner auch - werden sie immer wieder mal ausgebremst vom Vize-Questore Patta, der zum Glück nie merkt, wie Brunetti ihn manipuliert.
21. Spurensuche für Brunetti
Das ist in diesem 21. Brunetti-Band der amüsante Part. Alles andere ist besorgniserregend, weil nahe an der Realität, wie die zahlreichen Lebensmittelskandale belegen. Das sollte dem Leser aber nicht den Appetit auf das Buch verderben, denn es ist wirklich gut. Donna Leon legt deutlicher noch als in den Vorgänger-Romanen den Finger in die Wunde der Gesellschaft. Die klug aufgebaute Spannung, die zwingende Beweisführung und nicht zuletzt die Brisanz der Thematik sind überzeugend. Welche Richtung die Handlung nimmt, ist schon recht früh erkennbar. Doch der Weg zur Aufklärung des Falls ist fesselnd beschrieben. Wie immer hält sich Donna Leon auch in ihrem neuen Buch mit blutigen Szenarien (vom Schlachthof mal abgesehen) zurück. Ihre Stärke ist die Schilderung alltäglicher krimineller Umstände und Zusammenhänge in der Gesellschaft. Und natürlich fehlt auch der Teil nicht, den ihre Fans besonders lieben: ein Spaziergang durch ihre Wahlheimat Venedig, die wohlige Atmosphäre im Hause Brunetti und - trotz des appetitzügelnden Skandals - die wunderbaren Gerichte, die Brunetti-Gattin Paola auftischt.
Info
Donna Leon: "Tierische Profite", Aus dem Englischen von Werner Schmitz, Diogenes Verlag, 336 S., 23,60 Euro.