"Jedermann" in optimierter Besetzung: zu Simonischek stieß Sophie von Kessel. Eine Kritik von Christoph Hirschmann.
Bei gleißender Sonne (was vor allem den Schauspielern enorme Kräfte rauben musste) ging am Sonntag Hofmannsthals Jedermann über die Bühne des Salzburger Domplatzes.
Peter Simonischek verkörperte zum siebenten Mal die Titelrolle in Christian Stückls saftiger Inszenierung. Dass er das kann, stand außer Zweifel: Er spielte den reichen, zum Sterben verurteilten Mann mit großer Stimme, großer Geste, und schaffte dennoch eine feine Charakterzeichnung. Phänomenal, wie er auch heuer wieder die Fallhöhe Jedermanns vom Arroganzler zum Häuflein Elend nachvollziehbar machte.
Nosferatu
Zum Hinknien komisch, wie schon im Vorjahr, Sven-Eric
Bechtolf in schurkischer Doppelrolle: Als hinkender, mit monströs langen
Fingern ausgestatteter Teufel wirkte er wie eine Nosferatu-Parodie. Sein
tätowierter, nervös und fahrig hin- und herflatternder, schmarotzender
„Guter Gesell“ schien geradewegs der Kleinkriminellen- oder Drogenszene
entsprungen. Hinreißend, wie Bechtolf diese Episodenrollen – stets
spielerisch präsent – zu Hauptrollen aufmunitionierte.
Buhlschaft
Im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand heuer
freilich – nachdem sich Marie Bäumer im Vorjahr als theatralische
„Eintagsfliege“ entpuppt hatte – die neue Buhlschaft: Sophie von Kessel.
Der erste Eindruck: eine schöne, große, grazile, elegante Frau. Nicht das „Vollweib“ der Veronica Ferres. Schon gar nicht das schusselige Hippie-Mädel der nervigen Bäumer. Der ausgesprochen guten Schauspielerin gelang vielmehr – vergleichbar höchstens mit Nina Hoss – eine differenzierte Menschendarstellung. Was bei der in Wahrheit ja etwas marginalen Rolle gar nicht so leicht ist.
Ovationen
Das Publikum applaudierte ihr trotzdem nur freundlich
und nicht euphorisch. Jubel und „Getrampel“ verbuchten lediglich Bechtolf
und Simonischek.
Überraschende Buhlschaft
Sophie von Kessel überzeugte als
Buhlschaft durch ihr nuancenreiches Spiel. Nach der Enttäuschung in Gestalt
Marie Bäumers war man heuer gespannt: Wird Sophie von Kessel – hierzulande
ja auch nicht wirklich ein beschriebenes Blatt – eine adäquate neue
Jedermann-Buhlschaft sein? Die Gewissheit stellte sich rasch ein: Diese
schöne, große, elegante Frau im prächtigen königsblauen Kleid ist eine
hervorragende Schauspielerin. Kein Wunder: Von Kessel agierte an Dieter
Dorns Münchner Kammerspielen in Hauptrollen und im Fernsehen an der Seite
Alain Delons.
Nuancen
Fernab vom Klischee des „Superweibs“ zeichnet sie die
Buhlschaft voller Schattierungen. Von verführerisch bis verhalten, von
neckisch bis nachdenklich, von scharf bis scheu reicht ihre mimische Skala.
Gute Partie
Eine erfahrene Frau, die endlich eine gute Partie
(Jedermann) machen möchte und sich auch – bis zu gewissen Grenzen – auf
diese liebevoll einzulassen gewillt ist: Das ist die spannende, neue
Buhlschaft der Sophie von Kessel. Dafür gab’s nach der Premiere Applaus,
aber keine Ovationen.