'Männer töten': Autorin dreht den Spieß um. Was, wenn plötzlich Männer getötet werden?
Dorf“idylle“. Anna Maria zieht vom erdrückend hektischen Berlin ins (fiktive) oberösterreichische Dorf Engelhartskirchen. Dort scheint alles ein bisschen anders zu laufen, als im Rest von Österreich: In der katholischen Kirche predigt eine Pfarrerin, die Frauen sind laut und einige Männer verschwunden... Sapperlot, herrscht hier etwa ein Matriarchat?
Erst langsam wird klar, um was es in dieser Erzählung geht, die über die Titel gebende Problematik hinaus vor allem ein starkes Plädoyer für Frauenfreundschaft und Solidarität ist.
Roman: Außen hui - innen heftig
Extravagant. Das Buch „Männer töten“ ist auffällig. Der zweideutige Titel. Die extravagante Gestaltung, mit Goldschrift am buntem Cover und schwarzweißer Schnittverzierung. Es liegt gut in den Händen und schwer im Magen. Denn, was der Inhalt zu bieten hat, ist noch viel auffälliger.
Eva Reisinger widmet sich einem Thema, das uns als Gesellschaft angeht und doch zu wenig (reale) Beachtung findet: Frauenmorde. In ihrem Romandebüt dreht die Wiener Autorin den Spieß um, hier werden Männer getötet. Doch, wie liest sich das? Es liest sich so heftig, wie sich die Wahrheit anfühlen sollte. Jedes einzelne Mal, wenn ein Femizid gemeldet wird.
Szenen sind bekannt
Feinfühlig nähert die Autorin die Leserinnen den Problematiken an, die sich in einem Patriarchat für Frauen ergeben: Kleine Bedrängnisse, lapidares Bevormunden, schließlich große Ungerechtigkeiten und manchmal brutale Gewalt. Schaurig, wie bekannt sich einige Szenen beim Lesen für viele Frauen anfühlen müssen. Reisinger gelingt mit ihrem Debüt eine besondere Geschichte voll Tragik und Humor, Liebe, Leid und nicht zuletzt ein spannendes Gedankenexperiment.
Eva Reisinger im Gespräch mit ÖSTERREICH
ÖSTERREICH: Für alle LeserInnen, die sich für Ihr Buch interessieren: Wie ist der Titel zu deuten? Werden Männer getötet oder töten sie?
EVA REISINGER: "Der Titel ist bewusst zweideutig gewählt. Fakt ist: Männer töten Frauen – in Österreich, auf der ganzen Welt. Femizide, also der Mord an Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts, und häusliche Gewalt zählen zu den dringlichsten Problemen der Gegenwart. Mein Buch nimmt sich dieser Thematik an, dreht aber Rollen und Machtverhältnisse um. Frauen verfügen in meiner Geschichte über die Macht und sind auch Täterinnen. Für mich war das wichtig, um zu klären: Wie fühlt es sich an, wenn Frauen den Spieß umdrehen? Warum ist es komisch, wenn Männer die Opfer sind? Was macht Rache mit uns? Was braucht Befreiung? Was bedeutet eine gerechte Gesellschaft? Kurz: Männer töten Frauen. Aber nicht in meinem Buch, da werden sie getötet."
ÖSTERREICH: Von der Oberfläche zum Inneren: Die Gestaltung des Buches ist bunt, mit Goldschrift, die an Ränder an den Seiten sind in schwarz-weiß sehr extravagant. Als lieblicher Kontrast zum Inhalt?
EVA REISINGER: "Für mich war es sehr wichtig, dem harten Titel etwas Utopisches und Weiches entgegenzustellen. „Männer töten“ handelt ja nicht nur von Gewalt, sondern auch von weiblichem Zusammenhalt, Freundinnenschaft, Gerechtigkeit, Familie und Liebe."
ÖSTERREICH: Zum jetzigen Zeitpunkt unseres Gespräches also Stand Juli, ist bereits der 16. Femizid verübt worden, in einem Land, das immer gepriesen wird als sicher und lebenswert mit guter Infrastruktur. Wie kann das sein und was muss sich ändern? Ist uns eine gute Infrastruktur wichtiger als das Wohl von 50 Prozent der Bevölkerung?
EVA REISINGER: "Was geändert werden muss, ist seit vielen Jahren klar. Expert*innen fordern: Mehr Ressourcen, mehr Geld und mehr Bewusstsein. Das beginnt bei der Erziehung von Kindern und geht bis zu konkreten Forderungen wie etwa den Gewaltschutz-Ambulanzen. Diese sind ein gutes Beispiel um zu zeigen, wo es hakt. Sie wurde vergangenes Jahr von der Regierung versprochen und sind bis jetzt nicht da. Währenddessen werden weiter Frauen ermordet, Kinder gefährdet. Diese medizinische Infrastruktur wäre ganz wichtig, damit Frauen medizinisch geholfen wird und Beweise so gesichert werden, dass sie auch vor Gericht halten. Nach wie vor gibt es eine extrem hohe Dunkelziffer von häuslicher Gewalt in Österreich und gleichzeitig eine sehr geringe Zahl bzgl Verurteilungen der Täter (oft weil die Beweise fehlen und Opfern nicht geglaubt wird). Femizid und Gewalt an Frauen wird immer noch als ein privates Problem behandelt, anstatt als das was es ist: ein zutiefst öffentliches und politisches. Nach wie vor sind Frauen in Österreich weniger wert. Anders kann ich mir nicht erklären, warum man zusieht, wie ihnen Gewalt angetan wird, ihnen nicht geglaubt wird oder die Schuld an Übergriffen selbst gibt."
ÖSTERREICH: Ihr Buch ist auch ein starkes Plädoyer für Freundinnenschaft bzw. Frauensolidarität allgemein. Warum ist das so wichtig?
EVA REISINGER: "Das freut mich, genau das war mein Ziel. Für mich ist ein starker Zusammenhalt und eine Solidarität untereinander so wichtig, weil es einerseits das Einzige ist, was wir tun können und andererseits es uns zeigt, wie viel Macht wir haben. Je mehr wir Übergriffe und Gewalt thematisieren, desto mehr wird klar werden: Wir sind nicht allein. Und wir können uns wehren. Wohl lieber nicht im Sinne meiner Protagonistinnen, aber mit unserer Stimme, mit unserer Reichweite, mit unserer Macht. Zu sehen, dass wir nicht allein sind, ist nur der erste Schritt. Ich glaube an die Kraft hinter einem wehrhaften Feminismus und meine damit Hilfe und Verständnis füreinander. Es macht einen Unterschied, wenn dir geglaubt wird, wenn du von Überschreitungen erzählst. Es macht einen Unterschied, wenn andere eingreifen. Es macht einen Unterschied, wenn sie nicht wegschauen. Und damit meine ich nicht nur uns Frauen. Wir tun schon viel zu lange, viel zu viel. Ich meine damit die gesamte Gesellschaft und vor allem die Männer. Gewalt beginnt selten mit einem Mord. Sie beginnt mit kleinen Zeichen: Bevormundungen, Abschätzigkeit und Besitzansprüchen. Wenn mein Buch es schafft, ein kleines bisschen mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu erschaffen, habe ich schon mehr erreicht, als ich es mir wünschen könnte."
Eva Reisinger: »Männer töten«, Leykam Verlag