Im Neuen Spielraum des Theaters Reichenau ist am 7. Juli die vierte Produktion des diesjährigen Festspielsommers zur Premiere gelangt: Nicolaus Hagg hat eine Bühnenfassung aus Leo Tolstois Roman "Anna Karenina" herausgefiltert, Hermann Beil hat inszeniert. Im Mittelpunkt steht die tragische Geschichte eines Ehebruchs. Bei der Uraufführung gab es reichlichen Beifall für alle Mitwirkenden.
Dramatischer Sog bis zum Schluss So richtig sympathisch wirkt eigentlich niemand in dieser zumindest dreieckigen Konstellation: Nicht die Karenina, deren psychischen Absturz Julia Stemberger in permanenter Contenance kaum nachzeichnet, nicht Wronsky, dessen Gefühle Joseph Lorenz zwischen charmantem Lächeln und Granteln nur andeutungsweise darstellt, nicht der hohe Staatsbeamte Karenin (Miguel Herz-Kestranek), dem man seine Strenge, nicht aber seine Verzweiflung abnehmen will. Da bleibt manche Frage offen, manche Ambivalenz in der Waage. Dennoch entsteht ein dramatischer Sog, der bis zum Schluss anhält.
Unzählige Konflikte Auch die übrigen Paare - Annas Bruder Stiwa (Dirk Nocker) und seine an seinen Kapriolen leidende Frau Dolly (Emese Fay), deren Schwester Kitty (Johanna Arrouas) und ihr linkischer Verehrer Lewin (Tobias Voigt) - haben ihre Konflikte auszutragen. Marianne Nentwich als mütterliche Fürstin Schtscherbazkaja und Therese Affolter als leicht intrigant-bigotte Gräfin Iwanowa ergänzen das aristokratische Personals.
Sparsames Bühnenambiente Das sparsame Ambiente des Bühnenrunds erleichtert die Konzentration auf das Geschehen, die Szenenabfolgen kommen auch ohne Wechsel des Bühnenbilds (Peter Loidolt) aus, das mit wenig Mobiliar das Auslangen findet. Von Happy End ist natürlich keine Spur zu erhoffen: Als sich Anna vor den Zug wirft, geht Wronsky als Freiwilliger in den Balkankrieg: "Ich diene nur noch als Werkzeug, als Mensch bin ich eine Ruine."
Fazit: Gelungene Premiere Auch wenn die Mode der Bearbeitungen von Prosa für die Bühne allmählich inflationäre Ausmaße anzunehmen scheint, als sei das Theaterrepertoire ausgeschöpft, als gebe es keine zeitgenössischen Bühnenautoren: Mit ihrem russischen Jahrhundertwende-Flair vermag diese Produktion zweifellos an die bisherigen Reichenauer Tschechow-, Turgenjew- und Gorki-Aufführungen anzuschließen.
(Von Ewald Baringer/APA)
Info Die Festspiele Reichenau bringen Leo Tolstois "Anna Karenina" in der Bühnenfassung von Nicolaus Hagg noch bis bis 5. August auf die Bühne. Alle Informationen rund um die Festspiele sowei Tickets erhalten Sie unter www.festspiele-reichenau.com.
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