Weshalb Susanna bei diesem Figaro bleibt und den heftigen Avancen dieses Grafen Almaviva widersteht, blieb die große Frage bei der aktuellen Premiere von "Figaros Hochzeit" in der Wiener Volksoper am Sonntagabend. Die eigentliche Inszenierung von Regisseur Marco Arturo Marelli ließ hingegen keine Fragen offen, hat der ausgewiesene "Figaro"-Experte, der bereits Ende der 1980er Jahre Mozarts Erfolgswerk am Haus inszenierte, doch eine solide, humoristisch-klare Deutung des Liebeswirrenstoffes ins Haus am Gürtel gestellt. In der kommenden Spielzeit wird dann seine Sicht auf Puccinis "Mädchen aus dem goldenen Westen" an der Staatsoper folgen.
Marelli an der Volksoper Eigentlich hätte es nur eine Wiederaufnahme seiner alten Produktion werden sollen, mit welcher der gebürtige Zürcher Marelli Ende der 1980er als Teil eines Da-Ponte/Mozart-Zyklus an der Volksoper begeistert hatte. Aus der geplanten Wiederaufnahme wurde jedoch aufgrund des Bühnenbildzustands nichts, worauf der Künstler in Personalunion als Regisseur, Lichtgestalter und Bühnenbildner wieder zur Tat schritt. Da er seit seiner aus 1989 stammenden und bis 2009 140 Mal am Haus gespielten Fassung an der Volksoper den "Figaro" auch in Madrid, Lausanne und zuletzt 2008 in Toulouse inszenierte, kann Marelli mit Fug und Recht als Kenner der Materie bezeichnet werden.
Freiräume Entsprechend unaufgeregt kommt sein aktueller "Figaro" daher, den er in historisierende, nicht naturalisierende Rundräume platziert. Er lässt den Darstellern Freiräume, die er zugleich mit einer dynamischen Personenführung innerhalb dieses flexiblen Kosmos bewegt, der keine Statik zulässt. An den Wänden grüßen großflächig barocke Fresken, die jenen Kampf zwischen Göttern und Titanen allegorisieren, der sich zugleich auf der Bühne abspielt, auf welcher der alte Adel mit den Bürgerlichen ringt.
Besetzung Allzu schwer dürfte es dem Grafen dabei eigentlich nicht fallen, Figaro seine Susanna auszuspannen, zumal Yasushi Hirano als Sänger der Titelfigur eher enttäuschte. Abgesehen vom streckenweisen Lispeln fiel er mit einer etwas plumpen Interpretation seiner Rolle aus dem Rahmen des übrigen Ensembles, was auch für die Modulation seiner Partie galt. Der deutsche Bassbariton Konstantin Wolff überzeugte hingegen mit einem Grafen Almaviva, den er als testosterongeladenes Viech mit austrainiertem Oberkörper und über weite Strecken ebenso kraftvoller Stimme anlegte. Zwischen beiden stand Rebecca Nelsen, die als Susanne nicht nur ihre Mitspieler bezirzte, sondern auch das Publikum mit ebenso zurückhaltend klarer Intonation wie neckisch-intelligentem Spiel.
Stefan Cerny Zu einem weiteren Publikumsliebling avancierte mit tragendem Bass und komödiantischem Talent Stefan Cerny in der Rolle des Dr. Bartolo, wobei ihm auf humoristischer Seite Paul Schweinester als Basilio nicht nachstand. Stattdessen war die ungarische Sopranistin Dorottya Lang in der Hosenrolle des Cherubino trotz schöner Mittellage mit den Tiefen ihrer Rolle bisweilen überfordert. Noch dazu hatte Kostümbildnerin Dagmar Niefind die Sängerin derart ausstaffiert, dass sie weniger an einen herzensbrechenden Jüngling denn an das Sams erinnerte.
Dirigent Dirk Kaftan führte sein Orchester anfangs noch mit verhaltenem Zug und eher bräsig ins Werk. Im Laufe des Abends ließ er jedoch stellenweise immer wieder eigene Interpretationen aufblitzen, wenn er etwa die Märsche oder in der Gartenszene des Finals einen eigenen, neo-romantisch angehauchten Zugang zum Werk fand. Am Ende stand freundlicher Applaus für alle Beteiligten. Ein "Figaro", der niemandem wehtut - und das muss er ja auch nicht.
Weitere Aufführungen am 27. und 30. November sowie am 3., 6., 11. 18. und 28. Dezember jeweils um 19 Uhr. Karten unter www.volksoper.at
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