Der französische Dirigent Prêtre hatte die Klatscher mit 2 Fingern im Griff. Er erhielt Standing Ovations.
Wien-Paris und retour. Maßgeschneidert auf den diesjährigen Dirigenten Georges Prêtre hat sich am Freitag das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Großen Saal des Musikvereins gestaltet. Die angekündigte "Liebeserklärung an die Welt" wurde aber doch zur deftig-schwungvollen Hommage an die französische Heimat des Dirigenten - mit Champagnerlaune in der Stadt der Liebe. Passend dazu veredelte der italienische Modedesigner Valentino die Tanzeinlagen mit seinen Kostümen, das Publikum bedankte sich für den Sinnesrausch mit Standing Ovations.
Diplomatie im Dreivierteltakt
Prêtre ist ein Genießer und es
besteht kein Zweifel, dass er die ganze Welt daran teilhaben lassen will. Zu
den großen Modernisierern gehört der 85-Jährige musikalische Charmeur nicht,
er wählt den sinnlichen, intuitiven - und vor allem französischen - Ansatz.
Denn die Diplomatie zwischen Wien und Paris funktioniert seit jeher im
Dreivierteltakt und findet im Operettenhimmel seine Fortsetzung. Da stellt
sich ein gewisses Wohlbehagen ein, vor allem bei den philharmonischen
Gastgebern, die dem Maestro offensichtlich willenlos folgen.
Gedröhn - aber mit Spaß
Eröffnet wurde im Sinne des
Gustav-Mahler-Jahres - aber ohne Mahler, sondern mit Johann Strauß Sohn. Die
Ouvertüre zur Operette "Die Fledermaus" sollte laut Programmtext daran
erinnern, "dass Johann Strauß in Mahlers entscheidenden Jugendjahren sein
Zeitgenosse war". So geht's auch. Prêtre zauberte ganz und gar
nicht im Mahler'schen Sinne subtile Klangwolken, sondern legte mit Gedröhn
und juveniler Wendigkeit los. Da schepperte es, als wären die Philharmoniker
nicht ganz richtig ausgepegelt - Spaß beim Zuhören machte es allemal.
"Making of"
Die "Sträuße" sollten den Weg bis zur Pause
des Neujahrskonzerts beherrschen. Prêtre schwärmte mit Josef vom
"Frauenherz" und ließ mit dessen Bruder Johann die Vögel "Im Krapfenwaldl"
Liebliches bis Komisches trällern. Strauß Sohn beschloss auch nach der Polka
"Stürmisch in Lieb und Tanz" und dem Walzer "Wein, Weib und Gesang" mit
seinem musikalischen Scherz "Perpetuum mobile" den ersten Teil. Der Maestro
sorgte dafür, dass sich das Werk nicht ewig weiterdreht und der Pausenfilm
starten kann: Dieser war ein "Making of" des Jahr für Jahr immer
aufwendigeren Ereignisses.
Nicolais 200ster Geburtstag
Eine besondere Ehre kam Prêtre
zuteil, als er das ganz intime Jubiläum der Wiener Philharmoniker an
vorderster Front mitfeiern durfte: Otto Nicolai, Gründer des
Weltklasseorchesters, wurde vor 200 Jahren geboren, die Ouvertüre zu dessen
Oper "Die lustigen Weiber von Windsor" diente als kompositorisch etwas fahle
Geburtstagstorte. Süßer wurde es mit den "Wiener Bonbons" von Johann Strauß
Sohn, bis man sich mit dessen "Champagner-Polka" auch optisch im neuen Jahr
berauschen konnte: Eleonora Abbagnato und Nicolas Le Riche - beide von der
Opera Garnier in Paris - tanzten in roten Kostümen von Valentino in den
Räumen der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums zu "Ein Herz, ein
Sinn" (Choreographie: Renato Zanella).
Richtigen Zund entwickelte Pretre schließlich, als es galt, "Carneval in Paris" von Strauß Vater zu feiern. Österreichisch-französischer Gedankenaustausch im Walzertakt. Musikalischer Höhepunkt des Neujahrskonzertkonzert wurde jedoch Jacques Offenbachs Ouvertüre zu "Die Rheinnixen", die mit viel Zartheit und unendlicher Geduld von Pretre durchs Wasser geleitet wurden. Der Bogen zum Austragungsort wurde mit der Quadrille nach Motiven von Offenbachs Oper "Die schöne Helena" von Eduard Strauß elegant gespannt, bis die schreibende Zunft mit dem Walzer "Morgenblätter" von Johann Strauß Sohn wohlwollend gestimmt werden sollte. Unterstützung gab es vom Ballett der Wiener Staatsoper und Volksoper, ebenfalls im Valentino-Design.
Mit zwei Fingern im Griff
Der "Champagner-Galopp" - bereits das
zweite Gläschen an diesem Tag - des Dänen Hans Christian Lumbye läutete
schließlich den Zugaben-Teil ein, die Polka "Auf der Jagd" von Johann Strauß
Junior sollte den jährlich erwarteten Höhepunkt, den Walzer "An der schönen
blauen Donau", ankündigen. Dieser wurde mit Souveränität und noch mehr
Champagnerlaune vorgetragen. Beim "Radetzkymarsch" von Strauß Vater hatte
der Maestro sein mitklatschendes Publikum mit teilweise nur zwei Fingern im
Griff. Dieses ließ sich gerne darum wickeln.
Mit dem Neujahrskonzert 2010 ließen sich die Wiener Philharmoniker von Pretre gleichzeitig eine Brücke nach Paris bauen, auf der der neue Staatsoperndirektor Dominique Meyer lust- und schwungvoll in die Staatsoper geleitet werden sollte. Dass man das Ruder doch nicht ganz aus österreichischer Hand geben will, soll im kommenden Jahr dessen musikalischer Direktor, Franz Welser-Möst, beim Neujahrskonzert zeigen.