Geister in Princeton

Kehlmann-Bühnendebüt uraufgeführt

26.09.2011

Mit einem glänzenden Johannes Silberschneider in der Hauptrolle.

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© Lupi Spuma
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Hat die Uraufführung von Daniel Kehlmanns Bühnen-Erstling "Geister in Princeton" gerade stattgefunden, steht sie erst bevor, oder liegt sie bereits länger zurück? Der österreichische Logiker Kurt Gödel (1906-1978), dessen Leben und Denken im Mittelpunkt des Stückes steht, hielt schließlich die Bedeutung von Raum und Zeit für schwer überschätzt. Weil nichts wirklich vergeht, sondern immer alles da ist, sprach er mit Lebenden und Toten gleichermaßen. Das kann nicht nur Gesprächspartner, sondern auch Theaterbesucher verunsichern. Zur Sicherheit wurde am Samstag, 24.9., im Grazer Schauspielhaus die Inszenierung von Intendantin Anna Badora gehörig bejubelt. Wer will schon gerne einen großen Moment verpassen?

Freilich ließen sich auch für die Behauptung, die Uraufführung habe nicht gestern stattgefunden, Argumente finden: Von der Intelligenz der Dialoge, der Bühnenwirksamkeit mancher Szenen, der facettenreichen Hauptrolle, konnte man sich bereits im Sommer bei einer von Christopher Hampton eingerichteten szenischen Lesung der Salzburger Festspiele (die das nicht rechtzeitig fertig gewordene Stück beauftragt hatten) überzeugen. Und man könnte Badora auch vorwerfen, zu zaghaft mit dem Text umgegangen zu sein, übervorsichtig Verdeutlichungen für das verwirrende Raum-Zeit-Kontinuum gesucht zu haben, statt auf Witz, Tempo und eigenständiges Bühnenleben zu setzen. Die Regisseurin war darauf bedacht, ja nichts falsch zu machen. Doch für eine Uraufführung ist das ein hoch anständiges und keineswegs selbstverständliches Vorhaben. Darauf hatte ja nicht zuletzt Kehlmann selbst in seiner bekannten Anti-Regietheater-Rede in Salzburg hingewiesen.

Silberschneider überzeugt
Die Bühne von Raimund Orfeo Voigt wird von einer großen Glaswand bestimmt. Sie trennt die Lebenden von den Toten, Realität und Vorstellung, schafft aber auch übergroße Distanz zu den mit Mikroports spielenden Schauspielern. Mit flimmernden, projezierten Lichtstreifen und schönen Beleuchtungseffekten wird diese klare Trennung jedoch immer wieder infrage gestellt: Es gibt kein deutlich unterschiedenes Hüben und Drüben. Und es gibt nicht nur den einen Gödel. Johannes Silberschneider überzeugt in der Rolle des scharfsinnigen Wissenschafters, der ein Muttersöhnchen war, ernsthaft auf eine Wiederbegegnung mit der toten Mutti hoffte, sich von seiner Frau das Essen vorkosten ließ, da er damit rechnete, vergiftet zu werden, und überall Geister sah. Ihm zur Seite als weitere Gödels in allen Lebenlagen und -altern: Rudi Widerhofer, Claudius Körber und der junge David Rauchenberger, der sich nach seinem Film-Auftritt in Markus Schleinzers "Michael " nun auch auf der Bühne bewährt.

Mosaik
Auch Adele, Gödels leidgeprüfte Frau, ist in Gestalt von Steffi Krautz und Swintha Gersthofer, zweifach auf der Bühne anwesend. Stefan Suske, Franz Solar und Dominik Warta haben in wechselnden Rollen Auftritte als Wissenschafter, die an ihrem zwischen Genie und Wahnsinn pendelnden Kollegen zunehmend verzweifeln. "Geister in Princeton" ist ein Mosaik von kurzen, schillernden Szenen, die Gödels eigenwillige Welt beleuchten, verschieden zusammengesetzt werden können und durchaus auch einmal gleichzeitig ablaufen dürfen.

Zwei Bilder
Zentral sind jedoch zwei Bilder, in denen sich Kehlmann als witziger, pointierter Dialog-Schreiber erweist. Auf der Flucht vor den Nazis, die Gödel wie alle anderen auch fälschlicherweise für einen Juden halten, werden der Mathematiker und seine Frau in der Mongolei aus dem Zug geworfen und von Grenzposten (Franz Xaver Zach und Claudius Körber) verhört. Während der fatalistische Wissenschafter genauso gern hier in der endlosen Einöde bliebe (Denken kann man schließlich überall), verzweifelt seine Frau. Also packt Gödel sein in Korrespondenzen mit der russischen Akademie der Wissenschaften erworbenes passables Russisch aus ("Ist ja nur eine Sprache") und liefert eine saukomische "Revisor"-Paraphrase ab. In der zweiten Zentralszene, einem Spaziergang von Gödel mit Albert Einstein, der den Kollegen auf seine US-Staatsbürgerschaftsprüfung vorbereitet, zeigt Daniel Kehlmann erneut die in "Die Vermessung der Welt" bewiesene Meisterschaft, Philosophie und Politik, Weltgeschehen und Biografie miteinander zu verknüpfen und komplizierte Gedankengebäude auf den Punkt zu bringen. Leider ist Hans Peter Hallwachs der fast unlösbaren Aufgabe, Albert Einstein zu verkörpern, kaum gewachsen und scheitert am Mittelweg zwischen Kopie des Originals (samt der berühmten gezeigten Zunge) und eigenständiger Figur.

Bald als Film
Nach einer Stunde vierzig Minuten gab es großen Premierenjubel. Daniel Kehlmann, der von der glücklichen Regisseurin beim Schlussapplaus umarmt wurde, darf zufrieden sein. Statt Spaghetti (die er in Salzburg als Prototyp verunglückter Regie-Ideen angeführt hatte) gab es auf der Bühne ganz wie vorgeschrieben Hühnchen mit Reis und Krautfleisch. Kurt Gödel starb trotzdem den Hungertod. Und hat, sollten seine Ideen über Zeit und Raum wirklich zutreffen, mit Sicherheit noch viel Gelegenheit, seinem Leben und Sterben in anderen Regiehandschriften zuzusehen. Die "Geister in Princeton" werden ihren Weg machen. Das nächste Mal im Jänner im Berliner Renaissancetheater. Und vielleicht schon bald als Film. Kehlmann schreibt bereits am Skript.

"Geister in Princeton" von Daniel Kehlmann, Uraufführung am Schauspielhaus Graz. Regie: Anna Badora, Bühnenbild: Raimund Orfeo Voigt, Kostüme:Beatrice von Bomhard, Musik: Gerriet K. Sharma, Video: Philipp Haupt. Mit Johannes Silberschneider, Rudi Widerhofer, Claudius Körber, Steffi Krautz, Swintha Gersthofer, Franz Xaver Zach, Fang Yu, Hans Peter Hallwachs, Stefan Suske, Franz Solar, Dominik Warta, Simon Käser, David Rauchenberger u.a.; Nächste Vorstellungen: 28.9., 4., 5., 13.-15.10., Karten: 0316 / 8000, www.schauspielhaus-graz.com
 

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