Künstler Gottfried Helnwein im Gespräch mit ÖSTERREICH über Grauen des Krieges, Altern und seine Albertina-Ausstellung.
Ein sonniger Tag Mitte Oktober in Wien, früher Nachmittag. Ich treffe Gottfried Helnwein in seinem Archiv im ersten Bezirk. Es riecht nach Lack als ich den Vorraum hinter Renate Helnwein betrete. Sie führt mich in ein großes Zimmer, an den Wänden Werke Helnweins. In der Mitte ein Holztisch aus dem 18. Jahrhundert. Wurmstichig, aber glatt restauriert, fühlt er sich nach vielen Erlebnissen an: "Was der schon erlebt hat", spricht Frau Helnwein aus, was ich denke und der Gedanke passt auch noch, als Gottfried Helnwein das Zimmer betritt. Der Maler und Fotograf ist ein Weltenbürger, lebt und arbeitet in Irland, Österreich und den USA. In Amerika hat er viele Freunde, Bekannte, die Promistatus haben. Sean Penn, Marilyn Manson, Teile der Presley-Familie und viele mehr. Nicht wegen dem Status sind diese Menschen für ihn besonders, wie es im folgenden Gespräch scheint und zum Schluss, als Helnwein über Kindererziehung spricht, wird klar warum. Neben Liebe sei Respekt – vor allen Menschen - am wichtigsten im Leben.
Helnwein im Interview mit ÖSTERREICH
Gottfried Helnwein ist vor wenigen Tagen 75 Jahre alt geworden und das ist der Anlass unseres Gespräches. Am 25.10. wird seine Ausstellung in der Albertina eröffnet. Dort sind Werke aus den vergangenen 20 Jahren seines Schaffens zu sehen.
Gottfried Helnwein: "Disasters of War"
ÖSTERREICH: "Wie halten Sie sich so fit wie (fast) Altersgenosse Mick Jagger, gibt es ein Rezept oder ist das einfach … zum Beispiel Stursinn?"
GOTTFRIED HELNWEIN: „Ich kümmere mich nicht um mein Alter, es ist mir völlig egal! Es gibt nur meine Arbeit. Das Einzige, was ich merke ist, dass ich fokussierter bin, mehr konzentriert. Nicht so viel Zeit vergeude wie in der Jugend, wenn ich zurückschaue, greife ich mir manchmal am Kopf wie viel Zeit ich vergeudet habe. Das Einzige, was mir doch bewusster wird: Dass die Zeit langsam ausläuft.“
"Alle wollten weg aus Wien, Falco musste bleiben"
ÖSTERREICH: "Wieso kam es zu Beginn Ihrer Karriere zum Weggang aus Österreich, waren es die Proteste gegen Ihr Schaffen?"
HELNWEIN: „So schlimm war das nicht, die heftigen Reaktionen waren ein Teil meines künstlerischen Prozesses. Ich habe da kein Problem. Die Reaktion von Leuten, egal wie sie ausfällt, ist immer ein Teil des Ganzen. Es war mehr so, dass Wien nach dem Krieg, bis in die 70er Jahre kein angenehmer Ort war. Nach zwei verlorenen Weltkriegen und dem Holocaust, war Wien ein Scherbenhaufen, und die Stimmung war entsprechend depressiv. Die Schatten dieser Ereignisse lagen schwer über der Stadt und erzeugte eine Art Grabesstimmung. Die Künstler meiner Generation, die am Ende oder kurz nach dem Krieg geboren sind, wollten aus diesem Erbe, das uns unsere Eltern hinterlassen hatten, ausbrechen, wir wollten mit Werten dieser Generation und ihrer Tradition nichts mehr zu tun haben. Für uns schien der einzige Sinn der Kunst darin zu liegen, diese bürgerlichen Normen, Werte und Regeln zu zerstören. Und uns erschienen Provokation, Anarchie und Rundumschlag der einzig legitime Ausdruck der der Kunst. Das erklärt auch den Wiener Aktionismus, Wolfgang Bauers ‘Magic Afternoon’, Handkes ‘Publikumsbeschimpfung’ und andere Künstlerische Äußerungen dieser Zeit. Wir alle hatten auch die Sehnsucht, diese Stadt zu verlassen, irgendwohin, nach Paris oder sonstwohin, nur weit weg, aber kaum einer hat es geschafft. Wien hat eine seltsame Gravitation, von der man sich nur schwer losreißen kann. Falco ist ein gutes Beispiel. Er hätte in Amerika eine absolute Weltkarriere machen können, nach seinem Nr.1 Hit Amadeus, lag ihm Amerika zu Füssen, er hätte nur dort bleiben müssen. Aber er konnte einfach nicht, er musste zurück nach Wien, zu seinen Haberern, den Lokalen und Kaffehäusern, zu dem Ort seiner Kindheit und Jugend, dorthin wo seine Mutter war. Nur dort war er geerdet, und dort war er der Hansi Hölzl
. Die Kunstfigur Falco war sein Alter Ego, das ihn in ungeahnte Höhen entführt hat, wo er zu einem gefeierten Idol wurde, zu einem Gott der Coolness, immer höher und höher, bis er, wie Ikarus der Sonne zu nahe kam. Ich bin 1985 weg, das war der Moment, wo ich wusste jetzt oder nie, ich bin nach Amerika und dann nach Deutschland in die Nähe von Köln gegangen, und zwischen diesen Orten habe ich für viele Jahre abwechselnd gelebt."
„Elvis und Donald Duck waren Kulturschock für mich“
ÖSTERREICH: "Was fasziniert Sie an Amerika?"
HELNWEIN: "Sie müssen sich Wien nach dem Krieg als totales Vakuum vorstellen. In meinen frühen Kindheitserinnerungen gibt es nur diese graue, farblose Welt, in der sich alles in Zeitlupe bewegte, und die Tage langsam dahinflossen wie zäher Schleim. Eine Welt voll grantiger Erwachsener, kalter Krautfleckerln und Sonntags Blasmusik im Radio und Heinz Conrads. All das änderte sich mit einem Schlag, als ich eines Tages mein erstes Micky Maus Heft aufschlug, und Entenhausener Boden betrat, und den Mann traf, der mein Leben von Grund auf ändern sollte: Donald Duck. Es war der Augenblick als mein Leben einen Sinn bekam. Etwas später sah ich ein Bild von Elvis auf einem kleinen Bildchens aus einem Kaugummipäckchen, und das war eine weitere Epiphanie: Ich hatte bis dahin nicht gewusst, dass ein Mensch so schön sein konnte, und als ich dann eines Tages in einem Wirtshaus in Mauerbach aus einer Musikbox seine Musik hörte, wusste ich - ich musste nach Amerika. Natürlich hat sich mein Amerikabild über die Jahre geändert, denn ich habe inzwischen auch die dunkle Seite dieses Imperiums kennengelernt. Aber man muss immer zwischen den Menschen und dem politischen System unterscheiden. Die Menschen sind überall gleich, sie haben die gleichen Bedürfnisse, Sehnsüchte und Ängste. Amerika ist inzwischen ein Teil meiner Heimat, wie Österreich und Irland, meine Enkelkinder sind Amerikanische Staatsbürger, viele meiner Freunde sind da, wie Sean Penn, und Lisa Maria Presley, die leider vor kurzem gestorben ist, und hier hatte ich Begegnungen, die mir viel bedeuten, mit Charles Bukowski, William Burroughs, Norman Mailer, und Michael Jackson und Muhammad Ali. Es gibt aber noch einen Grund warum ich da sein will, denn ein wesentlicher Teil meiner Arbeit ist Studium und Recherche der politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse, und Amerika ist das Epizentrum aller globalen Ereignisse und Entwicklungen. Wenn man den Zustand der Welt verstehen will, und was noch auf uns zukommt, muss man das amerikanische System kennen und verstehen."
„Halte das Internet für gefährlich“
ÖSTERREICH: Ist Social Media Fluch oder Segen für Sie als Künstler?
HELNWEIN: "Ich muss zugeben, dass es mich beunruhigt, wenn ich sehe, wie das Internet, Social Media und digitale Technologie alle Bereiche unseres Lebens durchdringen und unser soziales Verhalten, unsere Werte und unsere Kommunikation verändern und manipulieren können. Elon Musk hat ja aufgedeckt, dass sowohl die Geheimdienste, das Pentagon und das Weiße Haus direkt auf alle Kommunikationen bei Twitter Zugriff hatten, und jede Meinungsäußerung, die ihnen nicht genehm war, zensieren, und unliebsame User bannen konnten. Zensur war zu allen Zeiten ein unverzichtbares Werkzeug jeder Diktatur, und der Todfeind der Kunst.
„Man könnte nicht mehr flüchten“
ÖSTERREICH: "Was ist Ihre Meinung zu künstlicher Intelligenz?"
HELNWEIN: "KI ist so gehyped. Die Idee dass wir eines Tages den Aufstand der Maschinen erleben werden, und dass künstlichen Superintelligenzen die Kontrolle über die Menschheit übernehmen, halte ich für Schwachsinn. Was wir als KI bezeichnen, ist einfach ein sehr komplexes, ausgeklügeltes System zur kompletten Überwachung und Kontrolle der Menschen. Und dieses System wird von Menschen benützt, die nichts künstliches an sich haben, zum Nachteil von uns allen. Das erste mal in der Geschichte ist es möglich jeden einzelnen Menschen und jede seiner Bewegungen und seine Kommunikation vollständig zu überwachen. Und das ist tatsächlich erschreckend, denn anders als in der Vergangenheit, wird es keine Möglichkeit zur Flucht mehr geben, keine Grenzen mehr über die man entkommen kann. Gesichts- und Iriserkennung, Fingerabdrücke und DNA werden uns in einem riesigen elektronischen Spinnennetz gefangen halten, aus dem es kein Entkommen mehr gibt."
Gottfried Helnwein: "Disasters of War 60"
„Waffen sind viel gefährlicher geworden“
ÖSTERREICH: "Wird es weiterhin Menschen geben müssen der reicht irgendwann die Technik?"
HELNWEIN: "Die Menschen haben, vor allem in den letzten 100 Jahren, in atemberaubender Geschwindigkeit Technologien entwickelt, die alles übertreffen, was man sich je hätte träumen lassen. Der größte Teil der finanziellen und kreativen Energie geht in die Entwicklung immer effektiverer und raffinierterer Waffensysteme. Die gesamten Schäden des 30 jährigen Krieges könnten wir heute ganz leicht in einem einzigen Tag zustande bringen. Jährlich werden weltweit 2,25 Billionen in die Herstellung von Kriegswaffen investiert. Es gibt nun genug davon, um alles Leben auf diesem Planeten auszulöschen. Das große Problem ist aber, dass sich die Menschheit moralisch und ethisch nicht weiterentwickelt hat, und heute immer noch auf der Stufe der Steinzeitmenschen steht. Und das ist unser großes Dilemma: Utopische High-Tech Waffen in den Händen von Idioten."
Als Künstler spürt man, was falsch läuft
ÖSTERREICH: Was machen die Bilder aus Israel, die Beschreibungen, in denen es oft um getötete Kinder, geköpfte Babys geht, mit ihnen als Künstler, dessen Werksmittelpunkt oft das verletzte Kind war und ist?
HELNWEIN: "Mir war die Präsenz von Gewalt immer bewusst, und das hat sich natürlich in meiner künstlerischen Arbeit niedergeschlagen. Aber ich bin kein Journalist, Kriegsfotograf oder politischer Analyst, es ist nicht meine Aufgabe über konkrete Ereignisse zu berichten oder sie zu kommentieren. Ich kann mich nur mit ästhetischen Mitteln vortasten und versuchen, den Menschen einen neuen Blick auf diese Ereignisse zu ermöglichen und eine Ahnung von dem zu vermitteln, was all dem zu Grunde liegen könnte. Während ich in den 70er Jahren meine Aquarelle von verwundeten und bandagierten Kindern gemalt habe, war das für viele irritierend, und immer wieder haben sich Leute gefragt, warum ich so etwas male. Zur gleichen Zeit sind damals weltweit Kinder in Kinderheimen systematisch misshandelt, vergewaltigt und getötet worden. In katholischen, protestantischen, staatlichen Heimen und in psychiatrischen Anstalten. In Irland hat der Missbrauch in Kirchlichen Institutionen ganz besondere Ausmasse angenommen, in den Abwasseranlagen vieler Klöster hat man später die Überreste hunderter Kinder gefunden. Als ich diese Bilder gemalt habe, wusste ich natürlich nichts von den konkreten Ereignissen, aber als Künstler spürt man manchmal etwas davon, und versucht ihm durch künstlerische Mittel einen Ausdruck zu verleihen. Mein blutiges Kindergesicht auf dem Ringturm war so etwas wie ein vorauseilendes Echo all der Bilder der Gesichter toter und verwundeter Kinder in Israel und Gaza, die wir jetzt tausendfach im Internet und allen Medien sehen können
© Gottfried Helnwein
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Helnwein: „Kinder sind immer unschuldig“
ÖSTERREICH: Was braucht es in der Welt, gegen die Gewalt an Frauen und Kindern?
HELNWEIN: "Empathie. Wenn ich Bilder von verwundenden, verstümmelten und sterbenden Kindern in Kriegsgebieten sehe, frage ich nicht nach der Nationaliät, es ist eine Schande für die Menschheit und absolut unentschuldbar, ganz egal, ob es sich um ein israelisches, palestinisches, ukrainisches oder russisches Kind handelt. Kein Kind, keine Frau und kein friedfertiger Zivilist hat das verdient. Die wichtigste Waffe in jedem Krieg ist die Propaganda, und das erste Opfer in jedem Krieg ist die Wahrheit. Jede kriegsführende Partei sieht sich selbst als Opfer von Aggression, als gerechte Freiheitskämpfer und die Gegner als Aggressoren, Bestien und sadistische Monster. Die andere Partei sieht aber das genauso - nur spiegelverkehrt. Smedley Butler, der höchstdekorierte General in der Geschichte der USA sagte einmal: “Krieg ist organisierte Kriminalität, die Gewinne werden in Dollars gerechnet, die Verluste in Toten, durchgeführt werden sie zum Vorteil der ganz wenigen, auf Kosten der ganz vielen”
Helnwein über Kinder: Freiheit, Liebe, Respekt
Gegen Ende unseres Gespräches frage ich Gottfried Helnwein, ob man heutzutage, im Angesicht von Krisen und Kriegen noch Kinder in die Welt setzen soll. Er selber hat vier und ist mittlerweile auch Opa. Er möchte auch zu diesem Thema keine Empfehlung abgeben, weil jeder Mensch Entscheidungen selber treffen soll, doch verrät: „Es ist wichtig, dass Kinder in Freiheit aufwachsen, dass sie ein Selbstwertgefühl und Empathie für andere entwickeln. Fast alle Kinder haben potentiell fast unbegrenzt Anlagen und Talente. Es sind vor allem die Erziehungssysteme und Indoktrinierungen der Erwachsenenwelt, die diese Anlagen zerstören.
Ich denke, dass wir den Kindern von allem eines entgegen bringen müssen: Respekt. Ich habe mich auch nie als Vorgesetzter gesehen, sondern eher als Verbündeter oder Komplize, Kinder sind verletzlich und wehrlos, sie sind vollkommen von der Fairness der Erwachsenen abhängig. Sie haben ein Recht auf unseren Respekt und Schutz."
Meine Kinder mussten nicht rebellieren
Konflikte gabs mit den Helnwein Kindern auch im Teeniealter nie, weil er und seine Frau die Kinder auf Augenhöhe behandelt, nicht erzogen haben. „Es gab nichts, wogegen sie hätten rebellieren müssen“. Er habe seine Kinder immer nur als Freunde gesehen. Dass sich nicht nur die meisten seiner Kinder, sondern auch die Enkel in eine künstlerische Richtung entwickelt haben und werden, scheint Gottfried Helnwein zu freuen. Es huscht ihm ein Lächeln des Stolzes übers Gesicht. Zum Abschluss unseres Gespräches erzählt er mir noch von seiner Großmutter, die eine ganz wilde und furchtlose Frau war: “Ich war als Kind total beeindruckt von ihr, sie hat sich von niemandem etwas sagen lassen, und sie hat immer ihren Willen durchgesetzt. Sie war eine beeindruckende Demonstration von Selbstbewusstsein.”