Die ästhetisch konsequente Minimal-Regie von Loy belebt träges Oratorium.
Ohne Zweifel - die erste Opernpremiere der Salzburger Festspiele 2009 war ein Erfolg. "Theodora" von Georg Friedrich Händel ist keine sichere Bank, aber das Risiko hat sich - unterm Strich - gelohnt. Trotz vieler langatmiger Passagen wurde die von Dirigent Ivor Bolton, dem Freiburger Barockorchester, dem Salzburger Bachchor, den Solisten und dem Team von Regisseur Christof Loy gestaltete Premiere gestern, Samstag, Abend im Großen Festspielhaus wenn schon nicht euphorisch, so doch eindeutig positiv aufgenommen.
Nur ein Bild
Es gibt nur ein einziges Bild in diesem
drei-aktigen, fast vier Stunden langen Oratorium, aber das ist stark. Der
freie Bühnenraum des Großen Festspielhauses mit Blick auf Hinterbühne und
Schnürboden, in der Mitte eine graue Riesenskulptur in Form einer
Kirchenorgel. Dazu Stühle, für jeden der Bachchor-Sänger einen. Sonst
nichts. Ganz wenige Farben, nur Theodoras Kleid im Bordell ist rot. Gerade
durch diese ästhetisch konsequente Reduzierung auf wenige Reize wirkte die
Bühne von Annette Kurz. Und Christof Loy hat sich den Raum geschaffen für
seine Personenregie.
Da war allerdings nicht wirklich viel zu holen. "Theodora" ist keine Oper, sondern ein Oratorium. Die Handlung ist introvertiert und reflektiert die Befindlichkeiten ihrer Helden, anstatt, wie die Oper, die äußere Dramatik in den Vordergrund zu stellen. So tut sich grandios wenig in diesem Heldenepos im urchristlichen Milieu. Die ultrakeusche, lustverweigernde Schönheit Theodora und ihr Geliebter Didymus, die Selbstlosigkeit in Person, gehen in den Tod, weil sie den Göttern der Römer nicht opfern wollen. Die Machthaber sind und bleiben stur und demonstrieren ihre Macht. Niemand ändert sich, nichts entwickelt sich im Libretto von Thomas Morell. Das Stereotype wird durchexerziert - Punkt, Schluss.
Bei Uraufführung durchgefallen
Schon bei seiner Uraufführung
1750 ist dieses Oratorium durchgefallen und hat den Komponisten finanziell
fast ins Desaster gestürzt. Die Bürger Londons haben vermutlich andere
Gründe gehabt. Aber Theodora ist seither ein Ladenhüter, wie er im Buche
steht. Umso höher ist diese Premiere einzuschätzen, für die es am Ende
berechtigten Jubel gab. Für alle. Den größten für den Salzburger Bachchor,
das Freiburger Barockorchester, Dirigent Ivor Bolton und Countertenor Bejun
Mehta. Aber auch alle anderen waren vorne dabei. Nicht ein einziges Buh im
anhaltenden und freundlichen Applaus nach guten, langen und manchmal ein
wenig zähen Opernstunden.
Christof Loy hat die Geschichte musikalisch und behutsam interpretiert. Mit minimalen Mitteln holte er aus den Figuren heraus, was psychologisch drinnen ist. Er hat aus einem dramatischen Nichts ein halbwegs flottes Musiktheater zusammengebracht, das von seinem Wesen her dem Konzert eigentlich näher wäre als der Oper. Ohne Ausstattungs-Aufwand schaffte es Loy, den dummen Trotz des Herrschers, die Lebensangst der Heldin und die Zerrissenheit des Offiziers bloß zu legen. Nur beim kitschig-selbstlos Liebenden tat er sich schwer. Ihn ließ er augenzwinkernd ins rote Theodora-Kleid schlüpfen und wie einen schwulen Transvestiten wirken.
Gutes Orchester
Das Freiburger Barockorchester federte knackig
und spritzig durch die Partitur. Überwiegend blitzsauber in der Intonation,
präzis im Rhythmus reagierten die Original-Töner aus Freiburg auf jede
Nuance des Dirigenten. Entschlossen packte Bolton seinen Händel am Kragen,
um ihn seidenweich in den Himmel zu heben - Bolton und das Freiburger
Barockorchester sind eine Topbesetzung für diese Literatur. Der Salzburger
Bachchor überzeugte nicht nur durch szenische Präsenz. Klanglich hat sich
dieser Nebenberufschor in den vergangenen Jahren unglaublich gut entwickelt.
Chorleiter Alois Glaßner hat seine 60 Damen und Herrn zu einem sensationell
klangschönen und homogenen Ensemble geformt, das in dieser Form ganz vorne
in der Liga der besten Opernchöre mitspielen kann.
"Theordora" Christine Schäfer mag als die einzige Enttäuschung gewertet werden. Schäfer wirkte abwesend und blass und setzte sich auch stimmlich nicht immer durch, was am Großen Festspielhaus, an ihrer verinnerlichten Rollenauffassung, aber auch an der zupackenden Dynamik von Boltons Dirigat gelegen haben kann. Für umwerfende Momente hingegen sorgte vor allem Countertenor Bejun Mehta als Didymus. Hauchzart, lyrisch und doch greifbar körperlich turnte er sich durch die schwierigsten Händel-Arien, ohne ein einziges Mal an Eleganz zu verlieren.
Bariton Johannes Martin Kränzle gab einen schauspielerisch und stimmlich gewichtigen und doch schlanken Statthalter Valens, und Joseph Kaiser überzeugte als Septimius - makellos, fein und doch durchdringend ist sein Tenor. Bernarda Fink mit gewohnt großem Vibrato fiel stilistisch ein wenig aus der Rolle. Aber mit ihrer Bühnenpräsenz und der musikalischen Gestaltung ihrer Arien der Irene sicherte sie sich ebenso ihren Platz in der oberen Sänger-Liga wie "Bote" Ryland Davis mit seinem satten Tenor. Alles in allem ist diese "Theodora" dennoch keine Sänger-Oper. Der Abend gehörte den Musikern und dem Regieteam.