Regisseur wäre es fast gelungen, das verurteilte Stück wiederzubeleben.
Acht blaue Bauarbeiterbaracken aus Blech: "Über die Dörfer" von Peter Handke kommt ohne großes Bühnenbild und Regiemätzchen aus. Das Stück über menschliche (Un-)Beziehungen lebt vom Wort. Der französische Regisseur Stanislas Nordey hat in seiner Neuinszenierung auf dem Theaterfestival in Avignon deshalb auf ein minimalistisches Dekor und die Ausdruckskraft der Schauspieler gesetzt. Bei der Besetzung griff er auf bekannte Namen zurück, darunter die Schauspielerinnen Emmanuelle Beart ("Ein Herz im Winter", "8 Frauen") und Jeanne Balibar ("Die Wache", "Clara geht für immer"). Einen Triumph feierte das Bekenntnisdrama am Samstagabend im Ehrenhof des Papstpalastes trotzdem nicht.
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Vor 31 Jahren Uraufführung
Das Stück wurde 1982 durch Wim Wenders bei den Salzburger Festspielen zur Uraufführung gebracht. Weder Publikum noch Kritiker waren begeistert. Die "Frankfurter Rundschau" spottete über die "aufgeblähten Sätze" eines "geschwätzigen Predigers" und die "Zeit" sah den österreichischen Autoren "himmelwärts" dahinrauschen. Nur wenige wagten sich nach dem Debakel noch an eine Aufführung des zum Theatertod verurteilten Stücks. Handke nennt sein 1981 veröffentlichtes Werk ein "dramatisches Gedicht". Es besteht fast ausschließlich aus Monologen und handelt von einem Erbschaftsstreit zwischen drei Geschwistern. Gregor ist Schriftsteller und kommt aus Übersee, um mit den Geschwistern, dem Bauarbeiter Hans und seiner Schwester, der Verkäuferin Sophie, die Erbschaft mit dem Haus zu regeln. Er hat es als Ältester von den Eltern vermacht bekommen. Nun soll er darauf verzichten, weil die Schwester eine Hypothek aufnehmen und ein eigenes Geschäft gründen will.
Gerangle um Erbschaft
In dem Drama geht es nur vordergründig um Erbschaftsstreit. Handke hängt daran die Frage nach den menschlichen (Un-)Beziehungen auf, blickt auf eine Gesellschaft, die die Natur und ihre Seele verkauft, auf die Welt der Arbeiter, die Rolle des Intellektuellen und der Kunst. Das Stück, das in Avignon auf Französisch aufgeführt wurde, schwankt zwischen apokalyptischen Visionen und heilsbringenden Botschaften, aber auch zwischen faustischen Höhenflügen und fadenscheinigsten Weisheiten. Wenn Gregor von Betonbögen redet, die zu "Formgliedern des allerältesten Altertums" werden und fragt, ob der Beton nicht "zu Urgestein gedacht werden kann", wirkt das peinlich.
Fulminates Bühnenwerk
Handkes Stück ist wortgewaltig und enthält einige seiner schönsten Sinnessprüche. Das Publikum zeigte sich bei der Premiere dafür auch dankbar, zumal in den vergangenen Jahren die Kritik an mangelndem Texttheater immer lauter wurde. Während der ersten beiden Stunden applaudierten die Zuschauer sogar während der Aufführung. Vor allem die schauspielerische Leistung des Regisseurs überzeugte, der selbst in dem Stück mitspielte und als Hans auftrat. Die Begeisterung schwand, als Jeanne Balibar am Schluss in der Rolle der Nova auftrat, des weiblichen Geistes des neuen Zeitalters. Knapp zwanzig Minuten leierte sie um ein Uhr morgens leblos und ohne Ausdruckskraft ihre Botschaft von der Dankbarkeit herunter, die einen beseelten Blick in die weite Welt gibt: "Und lasst ab von dem Gegrübel, ob Gott oder Nicht-Gott: das eine macht sterbensschwindlig, das andre tötet Phantasie, und ohne Phantasie wird kein Material Form..."
(Von Sabine Glaubitz, dpa)