Der Österreicher wird für seinen Film "Das weiße Band" preisgekrönt - Christoph Waltz wurde als bester Schauspieler ausgezeichnet.
Der österreichische Filmregisseur Michael Haneke steht auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Mit seinem Film "Das weiße Band" (Sehen Sie den Trailer hier) gewann er am Sonntag Abend, 24.5., bei den 62. Filmfestspielen von Cannes den Hauptpreis des Festivals, die "Goldene Palme". "Das weiße Band" ist eine in schwarz-weiß gedrehte Auseinandersetzung über die Wurzeln von Totalitarismus und Faschismus, die der 67-jährige Regisseur in autoritärer Erziehung und unmenschlich gewordenen Idealen ortet.
Mit der Jelinek-Verfilmung "Klavierspielerin" war Haneke 2001 in Cannes bereits mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet worden, für "Caché" 2005 mit dem Regiepreis. Auch "Funny Games" und "Code inconnu" waren im Wettbewerb gestartet, "Wolfszeit" lief 2003 außer Konkurrenz.
Gigantischer Erfolg für Österreichs Film: Michael Haneke gewann beim Festival Cannes die Goldene Palme, Christoph Waltz holte Silber.
„Ich liebe das Filmfest Cannes“, strahlte der Wiener Regisseur Michael Haneke auf offener Bühne, als er am Sonntagabend, 24.5., den größten Erfolg seiner Karriere feierte: Aus der Hand von Jury-Präsidentin Isabelle Huppert nahm er den Hauptpreis, die Goldene Palme, für sein Filmdrama Das weiße Band entgegen.
Haneke im ersten Interview nach der Gala
„Ich freue mich wahnsinnig, den größten Preis zu bekommen, den man im Kino gewinnen kann. Natürlich bekam ich mit, dass ich schon vorher zum Sieger ausgerufen wurde, aber auf solche Gerüchte gebe ich nichts.“
Haneke weiter: „Besonders freut es mich, dass mir der Preis von Isabelle Huppert überreicht wurde. Sie war in einer schwierigen Situation, aber dieser Moment hat mich sehr bewegt.“ Der Hintergrund: Huppert war 2001 Hauptdarstellerin in Hanekes Die Klavierspielerin und gewann den Darstellerinnen-Preis von Cannes.
Lob der internationalen Presse
Doch von Freunderlwirtschaft wird bei dieser Auszeichnung niemand sprechen. Zu eindeutig ist das Lob der internationalen Presse und der Fachwelt für Hanekes Drama über die Wurzeln des Terrorismus. Auch der Weg zur Oscar-Nominierung scheint offen.
Zwei Palmen für Österreich
Michael Hanekes Triumph war nicht der einzige Glücksmoment für Österreichs Filmszene am Sonntag. Kurz zuvor hatte schon Christoph Waltz die Silberne Palme für den besten Schauspieler in Empfang genommen.
Olymp
Der in London lebende Wiener, bekannt aus zahllosen TV-Filmen, stieg Seite an Seite mit Hollywood-Starproduzent Harvey Weinstein über den roten Teppich zum Festival-Palais. Waltz schaffte mit einer einzigen Rolle aus dem Stand den Sprung in den Kino-Olymp. In Quentin Tarantinos Kriegsgroteske Inglourious Basterds legt er als charmant-diabolischer SS-Offizier eine derart brillante Leistung hin, dass dagegen Brad Pitt (dessen Rolle schwächer ist) fast zum Nebendarsteller degradiert wird.
Preisträger
Zur besten Darstellerin des Festivals wurde Charlotte Gainsbourg gewählt, die in Lars von Triers heftig umstrittenem Psychodrama Antichrist alle im Kino gewohnten Grenzen der Darstellung von Sexualität und Gewalt durchbricht. Frankreichs Szene wurde mit dem Großen Preis der Jury (für Jacques Audiards Gefängnis-Thriller Un Prophete) und dem Spezialpreis der Jury (für Alain Resnais’ skurrile Romanze Les Herbes Folles) belohnt.
Verlierer
Völlig leer gingen hingegen einige große Stars des Autorenkinos aus, deren Beiträge in Cannes viel Beifall bekamen: Jane Campion, Ang Lee, Pedro Almodóvar und Ken Loach.
"Einer der glücklichsten Momente"
Sichtlich bewegt nahm der Regisseur die Goldene Palme entgegen. "Manchmal stellt mir meine Frau eine typisch weibliche Frage: Bist du glücklich?", begann Haneke seine in Französisch gesprochenen Dankesworte, "Heute kann ich das aus ganzem Herzen bejahen - und sie wohl auch. Das ist einer der glücklichsten Momente meines Lebens", sagte der 67-Jährige und bedankte sich bei der Jury mit "Tausend Dank!"
Michael Haneke im Interview
ÖSTERREICH: Sie haben sehr gefasst reagiert?
Michael Haneke: Man arbeitet immer für die Anerkennung, denn man ist immer nur so gut wie sein letzter Erfolg. Deswegen finde ich das natürlich toll. Aber es wird nicht so sein, dass ich mich ewig daran erinnern werde, und ich hoffe, dass noch viele weitere schöne Momente in meinem Leben kommen werden.
ÖSTERREICH: Was sagen Sie zu Christoph Waltz?
Haneke: Ich bin mit ihm sogar über drei Ecken verwandt. Er hatte eine Riesen-Chance, und die hat er zu 150 Prozent genützt. Für ihn ist der Preis super. Und dass es heuer zwei Palmen für Österreicher gibt, ist ein Hammer!
ÖSTERREICH: Wie lange arbeiteten Sie am Cannes-Siegerfilm Das weiße Band?
Haneke: Das Drehbuch existiert schon viele Jahre. Es war für einen TV-Dreiteiler konzipiert, konnte aber nicht hergestellt werden, weil es dem Fernsehen zu teuer war. Später habe ich dann das Drehbuch gekürzt und zu einer Kinofassung umgeschrieben.
ÖSTERREICH: Warum drehten Sie den Film in Schwarz-Weiß?
Haneke: Weil alle Bilder aus der Zeit, in der er spielt, Schwarz-Weiß-Bilder sind. Wenn Sie heute einen Film über das 18. Jahrhundert drehen, werden Sie das in Farbe tun, denn das einzige, was man an Bilddokumenten hat, sind Gemälde. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Film erfunden, daher denken wir die Zeit in Schwarz-Weiß.
ÖSTERREICH: Standen Sie die letzten Tage unter Druck?
Haneke: Es war schon ein bisserl stressig, weil jeder davon gesprochen hat. Warum wir gewonnen haben? Ich weiß nicht. Das müssen Sie andere fragen.
Waltz gewinnt Darstellerpreis
Der österreichische Schauspieler Christoph Waltz ist als bester Darsteller ausgezeichnet worden. Der 52-Jährige, der bisher vor allem mit Fernsehrollen bekannt wurde, erhielt die Auszeichnung für seine Leistung in "Inglourious Basterds" von Quentin Tarantino. Waltz spielt darin einen weltmännischen und sprachgewandten SS-Offizier, den "Juden-Jäger" Hans Landa.
Der neue, irre Ausschnitt des Tarantino-Wurfs
"Berufung zurückgegeben"
Waltz ist bisher vor allem als Charakterdarsteller ("Roy Black") in deutschen Fernsehfilmen bekanntgeworden. Er bedankte sich bei Regisseur Quentin Tarantino: "Du hast mir meine Berufung zurückgegeben!"
Interview mit Christoph Waltz
ÖSTERREICH: Was war Ihre erste Reaktion, als Ihnen Tarantino für Inglourious Basterds eine Rolle neben Brad Pitt anbot?
Christoph Waltz: Ich sagte damals zu meinem Agenten: Wenn das Casting vorbei ist und man mich nicht engagiert, dann bin ich schon heilfroh, diese Stunde bei Tarantino miterleben zu dürfen. Als wir den Film in Cannes das erste Mal sahen, dachte ich: Es hat sich gelohnt.
ÖSTERREICH: Wie haben Sie erfahren, dass Sie die Rolle haben?
Waltz: Ich stand auf einem Hügel, schaute auf so ein Tal im leichten Dunst, der Sonnenuntergang leuchtete toskanisch. Und dann hat mein Telefon geläutet: ‚Christoph?' – ‚Oh, Quentin?' – In dem Moment bin ich auf eine Distel getreten – und er sagte: ,Christoph, you’re my man'. Und ich: ,If you say so, Quentin, I am.'
ÖSTERREICH: Sie lieferten die beste Performance des Festivals ab. Wie schwer taten Sie sich mit den vier Sprachen, die Sie in der Rolle sprechen mussten?
Waltz: Vielen Dank für das Lob. Quentin Tarantino sagte mir, meine Figur, der SS-Offizier Landa, sei ein linguistisches Genie. Aber nur, weil jemand viele Sprachen spricht, muss er noch kein Genie sein. Quentin meinte etwas anderes. Man muss die Sprachharmonien beherrschen und auch die Intonierung, den Ausdruck.
ÖSTERREICH: Sprechen Sie vier Sprachen?
Waltz: Ich spreche überhaupt kein Italienisch. Ich habe es bloß imitiert! Italienisch ist die beste Sprache zum Imitieren. Ich spreche Französisch und Englisch, Deutsch sowieso, aber von Italienisch habe ich keine Ahnung.
Gainsbourg ausgezeichnet
Als beste weibliche Darstellerin freute sich die Französin Charlotte Gainsbourg über die Würdigung ihrer harten Rolle in "Antichrist" von Lars von Trier. Der Große Preis der Jury ging an den Franzosen Jacques Audiard für das Gefängnisdrama "Un Prophète". Den Preis der Jury teilen sich zu gleichen Teilen die Britin Andrea Arnold "Fish Tank" und der Südkoreaner Park Chan-wook ("Thirst"/Durst).
Lebenswerk für Resnais
Der 86-jährige französische Altmeister Alain Resnais wurde mit einem Spezialpreis der Jury für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Nach der Preisvergabe lief zum Abschluss des Festivals der Film "Coco Chanel und Igor Stravinsky" über die Beziehung zwischen der Modeschöpferin und dem Komponisten.
Insgesamt haben die Juroren folgende Preise vergeben:
Goldene Palme: "Das weiße Band" von Michael Haneke
Großer Preis der Jury: "Un Prophète" von Jacques Audiard
Preis der Jury: "Fish Tank" von Andrea Arnold
ex aequo mit "Bak-Jwi" von Park Chan-Wook
Bestes Drehbuch: Mei Feng für "Spring Fever" von Lou Ye
Regiepreis: Brillante Mendoza für "Kinatay"
Spezialpreis des Festivals für das Lebenswerk: Alain Resnais
Bester Schauspieler: Christoph Waltz in "Inglourious Basterds" von Quentin Tarantino
Beste Schauspielerin: Charlotte Gainsbourg in "Antichrist" von Lars von Trier
Caméra d'or für den besten Debütfilm: Warwick Thornton für "Samson and Delilah"
20 Filme im Wettbewerb
Insgesamt liefen in diesem Jahr in Cannes 20 Filme im Wettbewerb um die Goldene Palme. Viele von ihnen boten ausgiebige Darstellungen von Sex und Gewalt. Auf dem Roten Teppich wurde etwas weniger Glamour zu Schau getragen, nur wenige Superstars zeigten sich den Fans.
Finanz- und Wirtschaftskrise war zu spüren
Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise war beim Festival an der Côte d'Azur deutlich zu spüren: Die Organisatoren veröffentlichten zwar keine konkreten Zahlen, aber Fachblätter schätzten, dass vor allem die Zahl der Branchenteilnehmer auf dem Internationalen Filmmarkt um mindestens ein Viertel gegenüber dem extrem gut besuchten Jahr 2008 gesunken sei. Bei Benefiz-Veranstaltungen wie der traditionellen Gala zur Unterstützung der amerikanischen Aids-Hilfe kam trotz der Anreise von Bill Clinton nur weniger als die Hälfte der Summe zusammen wie im vergangenen Jahr.