Paul Lendvai
Interview mit Österreichs großem Verteidiger
22.09.2007
Paul Lendvai sprach im Interview über Österreichs Image in der Welt, seine Verbindung zu großen Staatsmännern und die Notwendigkeit, Geschichte zu lernen.
Paul Lendvai trug Österreichs Bild ins Ausland. Als Wiener Korrespondent zahlreicher internationaler Zeitungen schrieb er unzählige Plädoyers für seine zweite Heimat, als das Image des Landes durch die Waldheim-Affäre oder die EU-Sanktionen stark beschädigt war. Gleichzeitig kam er in dieser Funktion über Jahrzehnte eng an die Macher der österreichischen Politik heran.
In Österreich wurde er als Leiter des ORF-Europastudios, Kolumnist, Osteuropa-Experte und nicht zuletzt als Autor von bisher zwölf Büchern berühmt. Sein letztes Werk, Der Ungarnaufstand 1956, war 2006 ein Bestseller.
Auch in seinem dreizehnten Werk Mein Österreich. 50 Jahre hinter den Kulissen der Macht setzt Lendvai seine Berufung als Geschichtslehrer und Verteidiger Österreichs fort. Er beschreibt den Aufbau der Zweiten Republik mit Hintergründen über die prägenden Politiker: Von Renner, „der vom Westen und von Moskau unterschätzt wurde“, über Figl, „der sich über die Streichung des Mitschuld-Passus freute“, und die Gründerväter der Zweiten Republik, „die durch ihre eigene Vergangenheit in den Gefängnissen verbunden waren“. Er geht auf die große Rolle der Sozialpartner ebenso ein wie auf die Entwicklung Österreichs von der Hungerperiode zum Wirtschaftswunder.
Lendvai war ein genauer Beobachter der Baumeister der österreichischen Republik und ein enger Vertrauter Bruno Kreiskys, dessen Image er im Buch zu erforschen versucht. Themen sind auch Kreiskys Konflikte mit Androsch, der AKH-Skandal, die Waldheim-Affäre und die EU-Sanktionen gegen Österreich.
Als Ungarnflüchtling und mittlerweile langjähriger Wahlösterreicher ist Lendvai zwar Insider, bewahrt sich aber auch die Außensicht auf die oft problematische Geschichte unseres Landes. Er holt Episoden ins Gedächtnis, bietet Anekdotisches und Interessantes.
Im Interview mit der BuchWoche spricht er über sein Bestreben, das Image Österreichs zu verbessern und viele Österreicher und Ausländer die Geschichte des Landes zu lehren.
ÖSTERREICH: Herr Lendvai, Sie engagieren sich seit Jahrzehnten als Auslandskorrespondent, ein positives Bild Österreichs in der Welt zu verbreiten. Wieso hängen Sie so an diesem Land?
PAUL LENDVAI: Ich habe zwei Drittel meines Lebens hier verlebt, alles, was persönlich gut und schön in meinem Leben war, hängt mit diesem Land zusammen. Alle gefährlichen Erfahrungen und alle Enttäuschungen über menschliches Verhalten verbinde ich mit Ungarn. Ich hatte, als ich kam, den Eindruck, dass man mich wie auch andere Neuösterreicher – unter ihnen Nemsic und Holender – im Grunde freundlich aufgenommen hat. Trotz aller Schatten ist Österreich ein Land, in dem Probleme diskutiert werden. Das alles gehört dazu, dass ich nur hier leben könnte.
ÖSTERREICH: Wie würden Sie Österreich beschreiben?
LENDVAI: Es ist ein Land, das ein sehr trügerisches Bild bietet. Ausländer glauben oft, Menschen und Land sind einfach, man denkt an Lipizzaner, Philharmoniker, Mozartkugeln, Heurigen und Staatsoper. Doch dieses Land ist trotz seiner scheinbaren Einfachheit kompliziert. Dies zu erklären, war ein Grund für mich, das vorliegende Buch zu schreiben. Österreich ist kompliziert, weil man sich erst nach und nach als Nation wieder entdeckte. Lange fehlte die Selbstachtung. Mir geht es darum zu erklären, warum Österreich – die verspätete Nation – diese Entwicklung gegangen ist. Österreich ist heute ein vielfältiges, lebenswertes Land, in dem die Menschen trotz Fehlern und Engstirnigkeit aus der Vergangenheit gelernt haben.
ÖSTERREICH: Sie gehen viel auf die Aufarbeitung der Opferfrage ein. Warum geschah diese Ihrer Einschätzung nach erst so spät?
LENDVAI: Das war zum Teil aufgrund einer Lebenslüge, denn auch große Persönlichkeiten waren ja involviert. Die Politiker waren nicht Patrioten, sie waren vor allem ihrer Partei verpflichtet. Besatzungszeit und Opportunismus verdrängten die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Doch umso heftiger waren die Skandale: von den Nazis in den Regierungen über Waldheim bis zu den EU-Sanktionen. Das alles hat eine Wende gebracht, manchmal waren die Reaktionen stark, manchmal übertrieben.
ÖSTERREICH: Sie haben Österreich stets verteidigt, war das nicht auch schwierig?
LENDVAI: Ja, es war manchmal sehr schwierig, aber wichtig für mich, weil Österreich im Ausland oft verzerrt dargestellt wurde. Es war während der Zeiten von Waldheim oder den Sanktionen nicht angenehm, Vorträge zu halten. Ich wurde auch angegriffen. Natürlich, Österreich ist kein ideales Land, es gibt Fremdenfeindlichkeit, die Saga von Haider, eine FPÖ mit 27 Prozent. Doch das muss man relativieren und vor dem Hintergrund der Geschichte sehen. Natürlich ist noch viel zu tun, aber man muss Österreich verteidigen, weil wer sollte das tun, wenn nicht Leute wie die Holenders, die Lendvais, die Nemsics, die die Gastfreundschaft hier erlebt haben. Mir war es ein großes Anliegen, dieses Buch zu schreiben, weil es sowohl für junge Österreicher als auch für Ausländer wichtig ist zu verstehen, dass Österreich eine schwierige Geschichte hat. Ich finde es großartig, dass wir hier im Land tolle Schriftsteller haben, die Geschichte vermitteln. Und ich meine nicht nur Bernhard und Jelinek, sondern auch Glavinic, Köhlmeier, Roth und, auf seine Art, Menasse.
ÖSTERREICH: Sie gehen in Ihrem Buch sehr auf Ihren Freund Kreisky ein. Was machte Ihrer Einschätzung nach seinen Erfolg aus?
LENDVAI: Ich glaube trotz allem, dass er in der österreichischen Geschichte eine Ausnahmeerscheinung war, eine Brücke zwischen dem neuen und dem alten Österreich. Er hat eine versteinerte Partei gegenüber den Intellektuellen, der Jugend geöffnet und war der größte Staatsmann im 20. Jahrhundert. Für mich war es das größte Glück meines Lebens, dass er zu mir Vertrauen hatte, obwohl ich ein Flüchtling war, mich sogar seine Biografie schreiben ließ. Er war eine Ausnahmeerscheinung wie Roosevelt, de Gaulle oder Adenauer. Sie machten nicht alleine Geschichte, konnten sie aber beeinflussen.
ÖSTERREICH: Wer war außer Kreisky für Sie ein Politiker mit besonderem Einfluss?
LENDVAI: Ohne Karl Renner würde Österreich in dieser Form nicht existieren. Julius Raab erkannte Österreichs Chance auf Unabhängigkeit. In seiner Art und Weise war auch der umstrittene Wolfgang Schüssel ein wichtiger Mann, denn, ob er wollte oder nicht, er spielte eine große Rolle in der Entzauberung des rechten Flügels. Auch Alois Mock als Außenpolitiker, Talente wie Androsch, die nicht zum Tragen kamen, Vranitzky als Stabilisator der Geschichte und Sinowatz als Pechvogel waren wichtige Männer.
ÖSTERREICH: Was ist Ihr Anliegen mit Ihrem Buch?
LENDVAI: Um Österreich zu verstehen, müssen gerade junge Leute die Geschichte des Landes kennen. Bei diesem Buch ist mein Herz dabei wie bei keinem anderen. Eben, weil ich diesem Land sehr dankbar bin und möchte, dass es im In- und Ausland besser verstanden wird. Vielleicht trägt dieses Buch ja dazu bei. Damit wir uns alle stolz Österreicher nennen – das wäre mein Ziel.