"Je suis le roi de mes douleurs" steht als Graffiti an der Mauer des Bühnenportals: "Ich bin der König meiner Schmerzen". Keine Frage, Hamlet leidet, und ihm fast dreieinhalb Stunden dabei zuzusehen tut weh. Speziell nach der Pause entwickelt Ambroise Thomas' selten gespielte Oper "Hamlet" starke Suggestivkraft und rückt das Dreieck Hamlet, Hamlets Mutter Gertrude und Ophelia ins Zentrum der musikdramatischen Handlung. Bariton Stephane Degout, Mezzosopranistin Stella Grigorian und Sopranistin Christine Schäfer wurde nach der gestrigen Premiere einer Neuinszenierung im Theater an der Wien auch am lautesten bejubelt. In den starken Applaus für Regisseur Olivier Py mischten sich dagegen auch einige Buhs.
Französischer Regie-Star in Wien Was man dem französischen Regiestar, der als Leiter des Pariser Theatre de l'Odeon kürzlich von Luc Bondy abgelöst wurde und im September 2013 das Festival in Avignon übernimmt, vorwirft, ist schwer zu sagen. Denn er hat einen tollen Job gemacht. Er hat versucht, die bourgeoisen Anteile des Librettos von Michel Carré und Jules Barbier auf Shakespeare zurückzuführen. Er hat gemeinsam mit Ausstatter Pierre-Andre Weitz eine phänomenale, bedrückende Bühnenlösung geschaffen, ein an Piranesis "Carceri" erinnerndes, von einer breiten, steilen Stiege dominiertes, sehr veränderliches Kellergewölbe, aus dem kein Entkommen möglich scheint. Und er hat mit dem Ensemble gut gearbeitet, sodass nicht nur hervorragend gesungen, sondern auch intensiv gespielt wird.
Politischer Teil der Handlung Vielleicht hätte man den Abend etwas straffen können, und vielleicht hätte man den politischen Teil der Handlung - Ophelias Bruder Laertes führt, rote Fahnen schwingend, eine revolutionäre Bewegung gegen Claudius an, das Schlussbild zeigt den Triumph der Revolution am Sarg Hamlets, der im Gegensatz zum originalen Opern-Schluss den Freitod gewählt hat - weniger vordergründig anlegen können. Ansonsten bietet Py einen eindrucksvollen Opernabend, dessen Höhepunkte die intimen Szenen sind: Die entscheidende Konfrontation von Hamlet mit seiner Mutter zeigt er als Badewannenszene im Spannungsfeld zwischen Inzest und Muttermord, Ophelias Wahnsinnsarie geht dank der phänomenalen Christine Schäfer unter die Haut.
Klare musikalische Akzente Am Gelingen des Abends haben Dirigent Marc Minkowski und die Wiener Symphoniker keinen geringen Anteil. Der Franzose, mit seinen Musiciens du Louvre sonst mehr dem Barock als der Romantik verpflichtet, leitet mit präzisen Einsätzen, klaren Akzenten und ohne Scheu vor starken Effekten durch den Abend. Dass die Partitur lange wie die Vorzugsarbeit eines Musterschülers wirkt, in der - inklusive schöner, vom Arnold Schoenberg Chor wie immer gekonnt bestrittenen Chorpassagen - alles vorhanden, nur kein Wagnis und kein Genieblitz, ist den wackeren Streitern im Orchestergraben nicht vorzuwerfen. Immerhin gibt es in der Schauspieler-Szene das erste Saxophon-Solo der Operngeschichte zu bestaunen, und gewinnt der Abend nicht zuletzt dank der ausgezeichneten Sänger-Leistungen zunehmend an Tiefe. Nur der allzu abrupte Schluss enttäuscht, obwohl Minkowski ihn durch eine Mischung des Originals mit der späteren Londoner Variante zu retten versucht hat.
Nächste Hamlet-Opern Premiere 2013 Ob die 1868 uraufgeführte Oper, die bereits fünf Jahre später an der Wiener Hofoper zu sehen war und erst in den vergangenen Jahren vorsichtig wiederentdeckt wurde, sich mit dieser Koproduktion mit Brüssel wieder endgültig im Repertoire etablieren kann, ist schwer vorherzusagen. Nächster Anlauf 2013 Im Theatre Royal de La Monnaie.
Info Die Oper "Hamlet" wird noch am 26., 28. und 30. April sowie am 2. und 5. Mai. im Theater an der Wien aufgeführt. Alle Informatinen dazu erhalten Sie unter www.theater-wien.at.
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