Neuübertragung
"König Lear" feierte intensive aber viel zu lange Premiere an der Burg
11.11.2024
Regisseur Rafael Sanchez setzt auf moderne Neuübertragung und reduziertes Personal
Eindrucksvolle Bilder trotz schlichter Mittel, scharf gezeichnete Charaktere und ein Sound, der seinesgleichen sucht. Die aus dem Schauspiel Köln nach Wien mitgebrachte und am Sonntag im Burgtheater erstmals gezeigte Inszenierung von Shakespeares "König Lear" in der Regie von Rafael Sanchez könnte in der sprachlich flotten Neuübertragung mit reduziertem Personal überzeugen, verheddert sich jedoch in Details und bleibt mit dreidreiviertel Stunden deutlich zu lang.
Der Schweizer Regisseur Sanchez hat derzeit viel zu tun: Nach Stefan Bachmanns Wechsel nach Wien und vor dem Eintreffen von Noch-Volkstheaterdirektor Kay Voges leitet er das Schauspiel Köln interimistisch, bevor er selbst ab der Spielzeit 2025/26 gemeinsam mit Pınar Karabulut das Schauspielhaus Zürich übernehmen wird. Das Wiener Publikum kennt ihn bereits als Regisseur des Soloabends "Stefko Hanushevsky erzählt: Der große Diktator", der vor wenigen Wochen seine Wien-Premiere feierte. Diese Fülle an Aufgaben könnte dazu geführt haben, dass die Wiener Version, in der es mit Sylvie Rohrer und Lilith Häßle auch zwei Neubesetzungen gibt, am Rotstift vorbei übersiedelt ist.
Das zentrale Motiv der Inszenierung ist imposant: Zwei Dutzend in schwarze Overalls gewandete Komparsinnen und Komparsen stemmen auf Schulterhöhe jenes Podest, auf dem Martin Reinke als König Lear über die fast leere, in schwarz getauchte Bühne getragen wird. Dort oben, wo alle zu ihm aufsehen müssen, bereitet er seine Abdankung vor und stellt seinen drei Töchtern die berühmte Frage nach ihrer Vaterliebe. Während Sylvie Rohrer als Goneril im violett schimmernden Satin-Kleid mit streng frisierter Rothaarperücke von Anfang an eiskalt ihr Erbe antritt, gibt Lilith Häßle als Regan mit wilden Haaren und schwarzem, gepufften Goth-Kleid die hitzige Wilde, die in Seán McDonagh als Edmund einen ebenso leidenschaftlichen wie durchtriebenen Gegenpart findet.
Als illegitimer Sohn von Graf von Gloster (Bruno Cathomas) spinnt er mit großer Spielfreude und stark übertriebenen Allüren seine machthungrigen Intrigen, sodass sein Bruder Edgar fliehen muss und sich fortan als Tom der Bettler ausgibt. Katharina Schmalenberg, die in ihrer formidablen Tripelrolle auch König Lears Narren und die verstoßene Tochter Cordelia gibt, spielt mit vollem Körpereinsatz und erschafft emotionale Momente mit den beiden Vätern Lear und Graf von Gloster. Die beiden herrschenden Schwestern Regan und Goneril bilden ein undankbares Gespann, das nach der Machtübernahme darüber streitet, wer den alten Vater aufnimmt und spinnt den perfiden Plan, Lear in den Wahnsinn zu treiben. Ausgerechnet dieser Kipppunkt kommt in der große Momente schaffenden Inszenierung jedoch zu kurz.
Nichtsdestotrotz ist es eine Freude, Reinke bei seinem geistigen Verfall vom Herrscher zum Wahnsinnigen zuzuschauen. Unterstrichen wird der Niedergang der Familie durch die kongeniale Soundbegleitung von Pablo Giw, der seiner Trompete mithilfe technischer Hilfsmittel ungekannte Töne entlockt, etwa wenn er das Schallstück über die Bühne kratzen oder die Luft tonlos durch das Instrument rauschen lässt. Weniger gelungen ist der Einsatz der Videoprojektionen auf mehreren von den Komparsen immer wieder auf die Bühne gebrachten Wandelementen, die dazu dienen sollen, Hintergründe der Doppelhandlung zu erzählen. Sie stehen in ihrer Schlichtheit zu stark im Kontrast zum intensiven Spiel auf der Bühne. Zeitgenossenschaft spiegelt die Inszenierung schon allein durch die Sprache ("Wir teilen uns die Kohle") und die heute vielleicht mehr denn je aktuelle Frage wider, wie wir mit den Alten in unserer Gesellschaft umgehen. Ein intensiver Abend, dem noch mehr Straffung gut getan hätte. So fiel der Applaus am Ende etwas ermattet aus.