Neuer Ballettabend des Staatsballetts sorgte für tosenden Applaus.
Ein Ballettabend unter dem Motto "Kreation und Tradition", in dem Klassiker wie "Giselle", "Die Bajadere" oder der "Moszkowski-Walzer" frischen, teils radikalen Neudeutungen des Balletts gegenübergestellt werden, hinterlässt das Publikum im schlechtesten Fall gespalten. Im besten Fall, und so geschah es am 27. April am Abend in der Wiener Volksoper, gerät der sprichwörtliche Spagat zum Triumph. Die Mischung aus "verantwortungsvoller Pflege wertvoller Stücke" aus der Vergangenheit und der Offenheit, "den Fortbestand der Kunstgattung" durch neue Werke zu sichern, wie sie Ballettdirektor Manuel Legris mit "Kreation und Tradition" bewerkstelligt hat, verdiente sich ihre Standing Ovations redlich.
Über drei Sunden Hochgenuss
Der dreistündige Abend hebt mit der Würdigung der guten alten Zeiten an: Das 1939 vom Kirow-Ballett in Leningrad uraufgeführte dreiaktige Ballett "Laurencia" in der Choreografie von Wachtang Tschabukiani zu Musik von Alexander Krein hat zwar eindeutig Staub angesetzt, mit dem nun an der Volksoper gezeigten Pas des six aus dem 2. Akt lebt für eine Viertelstunde jedoch die einstige Brillanz wieder auf, was nicht zuletzt Denys Cherevychko zu verdanken ist, der nur selten mit dem Boden in Berührung kommt. Auch in Marius Petipas "Giselle", aus dem das Pas de deux aus dem 2. Akt gegeben wird, gereicht durch die perfekte, leidenschaftliche und nicht zuletzt äußerst ernsthafte Interpretation von Irina Tsymbal und Robert Gabdullin zu einer wertvollen Würdigung.
Grete Wiesenthal wurden drei Tänze gewidmet
Auch die Wiener Legende Grete Wiesenthal darf an einem Abend wie diesem nicht fehlen, und so widmete ihr die Choreografin Susanne Kirnbauer unter dem Titel "Wien Walzer Wiesenthal" gleich drei Tänze: Uraufgeführt wurde Kirnbauers "Frühlingsstimmen" (im Stil von Wiesenthal), "Wein, Weib und Gesang" war in der legendären Originalchoreografie mit einer ausdrucksstarken Ketevan Papava zu sehen und mit "An der schönen blauen Donau" präsentierte Kirnbauer ihre eigene Arbeit, die mit ein paar überraschenden Einfällen punkten konnte.
"The White Pas des deux" sorgte für Begeisterung
Zu einem ersten richtigen Jubelsturm ließ sich das Publikum jedoch erst bei der Uraufführung von Andras Lukacs' "The White Pas des deux" nach Tschaikowskys "Schwanensee" hinreißen. Olga Esina und Roman Lazik gleichen einer fließenden Skulptur, die sich in einem geschmeidigen Ringen ihrer sich anziehenden und abstoßenden Bestandteile stetig verändert.
Kontrapunkt auch im Repertoir
Einen Kontrapunkt zu dieser runden Form setzte nach der Pause Andrey Kaydanovskiy mit der Uraufführung des Stücks "Zeitverschwendung" zu atemberaubenden Industrialklängen von Dmitry Cheglakov (vom Tonband). Der Einsatz einer Sprechstimme, eines nicht tanzenden Erzählers und des effektvollen Lichtdesigns bricht mit dem stummen Ballett und Kaydanovskiy traut sich darüber hinaus auch, einiges an Humor zu zeigen ("Hallo, ich bin es, dein Zuschauer. Ich hab dich angemeldet, also funktioniere gefälligst", heißt es etwa in Verbindung mit einem Schlag auf ein Fernsehgerät).
Ecken und Kanten mit bodennahen Rundungen
Eno Pecis "Herzblume" zu Musik von Philip Glass ("Opening" aus "Glassworks") und Ernesto Cortazar ("Beethoven's Silence") verband schließlich Ecken und Kanten mit bodennahen Rundungen. Einmal mehr war es Mihail Sosnovschi, der bewies, dass er in der Interpretation neuer Ausdrucksformen ganz vorne im Ensemble des Staatsopernballetts steht. Auch an der Seite von Rebecca Horner, die in Vesna Orlic' "Out of Tango" eine fulminante Performance lieferte, konnte Sosnovschi als vor Sehnsucht wahnsinniger Liebhaber überzeugen.
"Moszkowski-Walzer" sorgte für Jubel
Dass zwischen diesen kraftvollen, aufrüttelnden Uraufführungen auch Ausschnitte aus "Die Bajadere" (Legris nach Marius Petipa) und der "Moszkowski-Walzer" (Wassili Wainonen) für Begeisterung sorgen konnten, ist den Aufsehen erregenden Auftritten von Vladimir Shishov und Liudmila Konovalova sowie Kirill Kourlaev und Maria Yakovleva zu verdanken, die den klassischen Choreografien mit sichtlicher Liebe Leben einhauchten. Und so spannte sich unter der musikalischen Leitung von Guido Mancusi ein weiter Bogen, der ordentlich in Schwingung geriet und doch niemanden im Saal verstimmte. Zumindest nicht hörbar.
Info
"Kreation und Tradition" in der Volksoper. Künstlerische Leitung: Manuel Legris. Dirigent: Guido Mancusi. Weitere Termine: 3., 7. und 28. Mai, ab 19 Uhr. www.volksoper.at.