Es ist ein Rücktritt noch vor dem Antritt: Vor einem Jahr war Shermin Langhoff gemeinsam mit dem künftigen Intendanten Markus Hinterhäuser als "Dream-Team" und neues Leitungsduo der Wiener Festwochen ab 2014 vorgestellt worden. Nun wird die Chefin des Berliner Off-Theaters Ballhaus Naunynstraße nicht stellvertretende Intendantin und Chefkuratorin in Wien, sondern bleibt in der deutschen Hauptstadt. Offenbar wird sie morgen als neue Intendantin des Maxim Gorki Theaters vorgestellt.
Interkulturelles Theater Die im türkischen Bursa geborene 42-jährige Theatermacherin hat mit ihrer Arbeit mit der zweiten und dritten Migrantengeneration in den vergangenen Jahren dem deutschsprachigen Theaterbetrieb wie kaum jemand sonst eine Dynamik verliehen, die viele Häuser aus einer langjährigen Lethargie riss. Langhoff fördere bisher unbekannte Regisseure, Schauspieler und Dramaturgen, lobte die Jury des hoch dotierten Kairos-Preises, den sie im Vorjahr erhielt. "Selbstbewusst, bestimmt und humorvoll" bereichere sie den Theaterbetrieb mit herausragenden Stücken von Regisseuren und Autoren, die auf anderen Bühnen (noch) nicht gezeigt werden. Mit Sensibilität und Gespür entdecke sie junge Talente, die sie nachhaltig fördere und begleite.
Langhoff thematisiert im Theater die Fragen des Miteinanders verschiedenster Kulturen und den Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit den Minderheiten - "das ist vom Theater lange verschlafen worden" und "wurde offenbar gebraucht, denn wir hatten schon zu Beginn über 90 Prozent Auslastung", sagte Langhoff im APA-Gespräch. Das Ballhaus Naunynstraße leitet sie seit der Eröffnung 2008.
Engagiert Sie war mit neun Jahren als Kind nach Deutschland gekommen, wuchs in Nürnberg auf und absolvierte zunächst eine Lehre als Verlagskauffrau. Mit der Organisation von Ausstellungen und Lesungen begann ihre "inter- und transkulturelle Praxis", wie sie es nennt. Auf eine Zeit als Redakteurin und beim Film, wo sie begann, deutsch-türkische Netzwerke zu entwickeln, folgte 2004 ein Engagement als Kuratorin ans Berliner Hebbel am Ufer (HAU). Dort machte sie Migration zum Thema ihrer Arbeit und arbeitete dabei u.a. mit Feridun Zaimoglu, Nurkan Erpulat und Fatih Akin.
Als Vorbild für gelungene Integration will die Ehefrau des Regisseurs Lukas Langhoff selbst nicht gesehen werden. Zumindest nicht nur. Ihr Anspruch sei, mit ihrer Arbeit zu zeigen, dass es nicht nur um Herkunft gehe, dass Theater nicht von Konzepten, sondern von Menschen gemacht werde. Als Meilenstein ihrer "postmigrantischen Bühne" gilt das Stück "Verrücktes Blut" von Nurkan Erpulat und Jens Hillje, das die Spannungen zwischen einer Schulklasse mit Migrationshintergrund und ihrer Lehrerin zeigt, an das Berliner Theatertreffen eingeladen wurde und derzeit auch in der Wiener Garage X zu sehen ist.
Langhoffs steiler Aufstieg Langhoff, deren eigene Inszenierungen sämtliche Klischees bedienen und sie zugleich entkräften, hat das Ballhaus Naunynstraße innerhalb kürzester Zeit über die Stadtgrenzen hinaus bekanntgemacht, hier sitzen Kulturschaffende und Kiez-Bewohner Seite an Seite im Publikum. 30 Prozent der Zuschauer kommen aus dem "Multikulti"-Bezirk Kreuzberg, wo die Leiterin selbst mit ihrem Mann und ihrer Tochter lebt. Ihr Engagement in Wien, wo sie von der rot-grünen Stadtregierung als Idealbesetzung begrüßt worden war, hat sie heute "aus persönlichen, familiären Gründen" zurücklegt. Dem Wunsch sei man "mit großem Bedauern" nachgekommen, hieß es seitens der Wiener Festwochen.
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