"Love Never Dies"
Kitschorgie bei Phantom der Oper 2
10.03.2010
Andrew Lloyd Webbers 'Phantom der Oper' ist zurück mit zäher Handlung
Millionen Menschen jagte der Maskenmann einen wohligen Schauer ein. Millionen Menschen warteten sehnsüchtig darauf, weiter zu schmachten. Nun ist es soweit: Das "Phantom der Oper" ist zurück. Fast ein Vierteljahrhundert nach der Erstaufführung des wohl erfolgreichsten Musicals aller Zeiten läuft in London die Fortsetzung "Love Never Dies" von Andrew Lloyd Webber an - die Liebe stirbt nie. Und genauso wenig wie die Liebe ist das Phantom-Phänomen tot zu kriegen. Doch der zweite Teil trieft vor Kitsch und hat sich im Internet schon gehörige Verrisse eingefangen.
Handlung spielt in Vergnügungspark
Das Phantom spukt nun
nicht mehr im Pariser Opernhaus herum, sondern hat sich auf dem New Yorker
Vergnügungspark Coney Island eine eigene Oper gebaut. Dort trifft der
Halbgesichtige (gespielt von Ramin Karimloo) wieder auf seine große Liebe,
die Sängerin Christine Daae (Sierra Boggess) - und auf deren Sohn Gustave.
"Die Liebesgeschichte ist die Essenz des Stücks. Ich habe versucht, sie so
weit wie möglich weiterzuentwickeln", erklärte der Komponist Webber vor der
Weltpremiere am Dienstagabend, 9.3. im Londoner Adelphi Theater.
Pompös, wenig überraschend
Herausgekommen ist eine
pompöse aber wenig überraschende Inszenierung. Pferde galoppieren auf einer
projizierten Leinwand zu tragischer Musik durch Nebelschwaden, auf der Bühne
ranken sich esoterisch anmutenden Pflanzenfiguren oder medusenartige
Gestalten. Die Darsteller bewegen sich meist im Zeitlupentempo - was die
zähe Handlung weiter verlangsamt. Die Balladen "Till I Hear You Sing" und
"Love Never Dies" sind immerhin für Romantikfreunde gänsehauttauglich.
Höhepunkte
Nur die Showelemente auf Coney Island - bei denen
auch eine Barbusige über die Bühne springt - lockern ein wenig auf. Und bei
dem Song "Beauty Underneath" kommt gar das Gefühl auf, in einer
Elektro-Rockoper zu sitzen. Doch erst ein Todesschuss weckt den Zuschauer
pünktlich zum Ende wieder richtig auf.
Unmöglich, an Erfolg anzuknüpfen
Von Langeweile geplagt
taufte ein Theater-Blogger die Show nach einer der Vorpremieren schon "Paint
Never Dries" (Farbe trocknet nie): Die Aufführung sei so öde, wie Farbe beim
Trocknen zuzuschauen. Webber gab sich gelassen. Es handle sich um eine
"traurige Kultur" von Leuten, die vom alten "Phantom der Oper" nicht
loskämen. Doch auch der 61-jährige Brite weiß: Es ist kaum möglich, an
den Erfolg des ersten Teils anzuknüpfen. Mehr als 100 Millionen Menschen
haben "Das Phantom der Oper" gesehen und es zum finanziell erfolgreichste
Musical aller Zeiten gemacht. Seit der Uraufführung 1986 in London spielte
es weltweit mehr als fünf Milliarden Dollar ein, wurde in 15 Sprachen
übersetzt und hat 50 Theaterpreise gewonnen. Zudem wurden 40 Millionen Alben
mit dem Soundtrack verkauft.
Profitgier
Der Druck auf Webber und Regisseur Jack O'Brien könnte
also größer nicht sein. Kritiker warfen dem Komponisten, der sowieso schon
Multimillionär ist, bereits Profitgier vor. Doch die Fortsetzung verfolgt
Webber seit fast 20 Jahren. Grund war angeblich auch, dass die ehemalige
Bühnen- und Kostümdesignerin über das Ende des ersten Teils geklagt hatte.
Und fragte sich nicht jeder Zuschauer: Was passiert nach dem Verschwinden
des Phantoms?
Katze schuld an Handlung
Zunächst sollte Webber der Roman von
Frederick Forsyth, "The Phantom in Manhattan" inspirieren, doch das wollte
nicht richtig gelingen. Später machte sich Webber an die Musik - doch seine
Katze Otto, die angeblich mit am Computer saß, löschte das Werk. Nach allem
Hin- und Her entstand schließlich "Love Never Dies".
Fans begeistert
Sehr zur Freude eingefleischter Phantom-Fans.
Einige von ihnen waren nach der Vorpremiere begeistert: "Es ist absolut
wundervoll", schwärmte die Zuschauerin Christine Taylor, "es ist zwar nicht
so toll wie der erste Teil - aber besser als nichts". Auch "Phans" in New
York und Australien werden ihr Urteil bald abgeben können, da "Love Never
Dies" dort demnächst Premiere hat. Die deutschen Fans müssen sich derweil
noch gedulden. Zwar können sie ab Freitag den Soundtrack kaufen, aber das
Musical selbst soll nicht vor 2011 in Deutschland zu sehen sein.