Symphonien von Tschaikowski und Schostakowitsch verzaubern.
Manchmal ist es gut, im eigenen Archiv zu blättern: Über den lettischen Dirigenten Mariss Jansons schrieb die APA im Jahr 2008 "ganz große Orchesterkultur", im Jahr 2010 war von "atemberaubend" und ein Jahr darauf von "genialer Fädenzieher" die Rede. Und schließlich, im Sommer 2012, wurde die Interpretation von Mahlers Erster Symphonie sogar als exemplarisches Highlight bezeichnet, das an "Lebendigkeit, Klangkultur, Noblesse und Kraft kaum zu überbieten sein dürfte". Heuer muss die Wortwahl einen Tick nüchterner ausfallen - ein beeindruckendes Konzert bot der Lette mit einem "seiner" Orchester, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, gestern, Sonntagabend (4. August) im Großen Festspielhaus dennoch.
Melodiöse und motivische Dichte betörte Salzburg
Der Abend begann mit Dmitri Schostakowitsch und seiner 6. Symphonie in h-Moll. Eher selten gespielt und selten gehört ist dieses drei-sätzige Werk mit seinem hochexpressiven Kopfsatz und den beiden flotten, kurzen und fast militant-zackigen Sätzen am Ende. Warum gehört dieses Stück nicht zum Kernrepertoire des Konzertbetriebes? Die melodiöse und motivische Dichte, die rhythmische Prägnanz und die kompakte Klarheit würden das nahe legen. Auch die Besetzung ist "normal", großes Symphonieorchester eben, ohne exotisches Instrumentarium, das aufzutreiben für ein Profiorchester schwierig wäre.
Orchester umjubelt
H-Moll gilt als schwere, abgründige und gewichtige Tonart, aber Jasons und seine Bayern setzten auf zügige Tempi und transparente Klangfarben. Nichts wurde breit getreten, Struktur ging vor Pathos, die Erkennbarkeit der Details vor großem Klang. Vielleicht haben die Musiker auf den einen oder anderen Effekt verzichtet und dramatische Wirkung liegen gelassen. Aber das disziplinierte Orchester mit seiner wunderbaren Flötistin und dem nicht minder strahlenden Solotrompeter übersetzten die Idee des Dirigenten plausibel in Klang. Absolut berechtigter Jubel schon zu Pause.
Dirigent beschenkte Publikum reichlich
Diesem Interpretationskonzept treu geblieben sind Jansons und das Bayerische Rundfunkorchester gestern Abend auch im zweiten "Drama in h-Moll", der sechsten Symphonie von Tschaikowski. Diese extrem heterogene Programmmusik mit ihren sich ständig wandelnden Tempi und ineinandergreifenden Themen, Melodien und Rhythmen ist schweres Pathos per se. Tschaikowskis tragisches Spätwerk wird üblicherweise auch so schwermütig wiedergegeben wie es sich blasen, streichen und schlagen lässt. Aber Jansons setze auch in der "Pathetique" auf Nüchternheit, "verschenkte" Drama, schlachtete nicht aus, ging nicht ins Extreme und suchte formale Geschlossenheit, Fluss und "klassische" Struktur. Und die Gäste bewiesen, dass sie finden können was sie suchen. Russisch-Schweres diesmal eben schlanker und leichter.