Nobelpreisträgerin
Müller: "Werde jetzt nichts Besseres"
09.10.2009
Die rumäniendeutsche Schriftstellerin hat "kein Vertrauen in die Sprache"
"Ich werde jetzt nichts Besseres oder Schlechteres." Die am 8.10. zur Literatur-Nobelpreisträgerin 2009 erklärte Schriftstellerin Herta Müller war bei ihrer ersten Pressekonferenz nach der Bekanntgabe sichtlich darum bemüht, durch die Auszeichnung nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. "Es ist immer noch eine äußere Sache", sagte sie über den Preis. "Die Innere ist das Schreiben. Das hat mir immer Halt gegeben." Sie werde von nun an "nicht ständig mit einer Ahnengalerie von Nobelpreisträgern im Kopf herumlaufen".
"Klein, zerbrechlich, in schwarzer Bluse"
Schon eine
Viertelstunde vor Beginn der Pressekonferenz waren die beiden Altbauräume
des Berliner Büros des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, unmittelbar
neben Brechts Berliner Ensemble, überfüllt. Dutzende Journalisten standen so
dicht gedrängt, dass man nicht dorthin sah, worauf sich mehrere Kameras
richteten. Dann wurde die Preisträgerin aus einer Seitentüre durch das
Gedränge manövriert: Klein, zerbrechlich, in schwarzer Bluse, schwarzer
Hose. Als sie die große Menge sah, erschien sie überrascht, ungläubig.
Ich habe keine Angst, ich bin ja dieselbe Person
Applaus brandete
auf, minutenlang reflektierten die Wände das Zucken der Blitzlichter. "Ich
habe nach jedem Buch gedacht: Genug, ich will nicht mehr", antwortete die
56-jährige Schriftstellerin auf die Frage, ob sie fürchte, wie andere in
relativ jungen Jahren Ausgezeichnete nach der Preisverleihung nicht mehr
schreiben zu können. "Nach zwei Jahren habe ich doch wieder geschrieben. Ich
habe keine Angst, ich bin ja dieselbe Person." Andernfalls wäre es
Abhängigkeit, so wie etwa Kollegen nach dem Zusammenbruch von Diktaturen
nicht mehr schreiben könnten, weil ihnen der Feind verloren gegangen sei.
Reaktion
Auch in ihrer Reaktion auf die Preisbegründung versuchte
die Autorin, dem Nobelpreis Normalität abzugewinnen: "Das ist eine Art wie
Besprechung von Büchern", sagte sie. "Ich habe überhaupt kein Vertrauen in
die Sprache. Sie entsteht durch den Text. Das geht nur künstlich. Das muss
alles aufgelöst und wieder aufgebaut werden, dass es wieder der Realität
entspricht."
Eigene Identität
Angesprochen auf ihre eigene Identität
sagte die rumäniendeutsche Herta Müller: "Ich bin insofern deutsche
Schriftstellerin, als ich auf Deutsch schreibe. Die deutsche Sprache
schreibt auch immer mit." Rumänisch habe sie erst mit 15 Jahren gelernt.
"Insofern weiß ich nicht, was ich bin. Etwas von allem oder nichts von
beidem." In ihrem Werk habe sie sich stets mit der Diktatur ihres
Heimatlandes beschäftigt, wie es dazu habe kommen können. "Ich glaube nicht,
dass ich noch verfolgt werde, aber wenn ich in Rumänien bin, zeigt mir der
Geheimdienst, dass es ihn noch gibt", sagte sie. "Ob sich das jetzt ändert,
weiß ich nicht. Auch nicht, warum ich noch für den Geheimdienst interessant
bin." Sie könne dem Land nichts anhaben, sei nicht Wissenschafterin, mache
keine Erfindungen. "Es ist absolut nutzlos zu wissen, was ich denke oder
schreibe", sagte Müller.
"Die Kraft der poetischen Sprache"
Am Schluss der
halbstündigen Pressekonferenz überbrachte der Staatsminister für Kultur,
Bernd Neumann (CDU), Grüße der Bundeskanzlerin und einen Blumenstrauß, lobte
"die Kraft der poetischen Sprache" der Ausgezeichneten und schloss an
Müllers Ausführungen zu Rumänien an: "Es ist im 20. Jahr des Falls des
Eisernen Vorhangs ein wichtiges Zeichen, dass jemand ausgezeichnet wird, der
in seinem Werk gegen das Vergessen schreibt", sagte der Minister. "Sie
stehen prächtig in einer Reihe großer Schriftsteller wie Böll oder Thomas
Mann." Der schon vorher bestehende Weltrang Müllers sei durch den Nobelpreis
bestätigt worden. "Wir sind stolz auf sie und die Auszeichnung", sagte
Neumann. Müllers Antwortrede blieb ein schlichtes "Danke".
Reaktionen
Grass "sehr zufrieden"
Günter
Grass hat sich "sehr zufrieden" damit gezeigt, dass die deutsche
Schriftstellerin Herta Müller für den Literatur-Nobelpreis 2009 ausgewählt
wurde. Müller sei eine sehr gute Romanautorin, sagte Grass am 8.10. der
Nachrichtenagentur AFP in Danzig (Gdansk), wo er eine Ausstellung seiner
Grafiken eröffnete. Der Autor der "Blechtrommel" war seinerseits vor zehn
Jahren mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet worden. Sein persönlicher
Favorit in diesem Jahr sei der israelische Autor Amos Oz gewesen, sagte
Grass. Er wolle jedoch unterstreichen, dass das Nobelpreis-Komitee mit
Müller eine sehr gute Entscheidung gefällt habe.
Außenminister Bernard Kouchner " mutige Kämpferin"
Der
französische Außenminister Bernard Kouchner hat die neue
Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller als mutige Kämpferin gegen den
Totalitarismus gewürdigt. Die Nobelpreis-Jury habe nicht nur ein poetisches
und literarisches Werk von großer Intensität sondern auch ein beharrliches
und furchtloses Engagement für die Verteidigung der Grundfreiheiten geehrt,
ließ Kouchner am Donnerstagabend in Paris mitteilen